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Lichtjahre

Lichtjahre

Titel: Lichtjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Salter
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Spaziergang. Nedra bestickte ein Paar Hausschuhe. Auf jedem Zeh war ein Sonnengott.
    »Sie ist sehr nett«, sagte Eve.
    »Ja, ich mag sie.«
    »Sie redet viel. Ich meine, nicht dummes Zeug - sie ist wirklich interessant. «
    »Das ist wahr.«
    »Er dagegen...«
    »Er redet sehr wenig.«
    »Er hat fast kein Wort gesagt.«
    »Larry ist immer schweigsam«, sagte Nedra.
    »Und wie sie sich hassen.«
    »Glaubst du? Was du nicht alles merkst, Eve.«
    »Ich hab das selbst durchgemacht.«
    Viri kam herein, hinter ihm der Hund, Grashalme hingen an seinem Fell.
    »Ah, du bist unten am Fluß gewesen«, sagte Nedra.
    »Der hat's heute wirklich gut gehabt.«
    »Ostern gefällt dir, was, Hadji? Er hat vermutlich Durst, Viri.«
    »Er hat am Fluß viel getrunken. Möchtest du etwas Tee? Ich werd welchen machen.«
    »Das wäre wunderbar«, sagte Nedra. Als er draußen war, drehte sie sich zu Eve. »Was denkst du über Viri und mich?«
    Eve lächelte.
    »Siehst du das bei uns auch so?«
    »Ihr seid absolut... ihr seid perfekt füreinander.«
    Nedra gab einen kurzen Laut von sich, als hätte sie in ihrer Arbeit einen Fehler entdeckt.
    »Es ist unmöglich, mit ihm zu leben«, sagte sie schließlich.
    »Ist es nicht. Das liegt auf der Hand.«
    »Unmöglich für mich. Nein, du verstehst das nicht. Ich liebe
    ihn, er ist ein wundervoller Vater, aber es ist schrecklich. Ich
    kann es nicht erklären. Es ist so zermürbend, man wird zwischen dem, was man nicht tun kann, und dem, was man tun muß, zerrieben. Man wird zu Staub.«
    »Ich glaube, du bist einfach müde.«
    »Viri und ich sind wie Richard Strauß und seine Frau. Ich bin genauso gemein wie sie - nur daß Strauß eben ein Genie war. Sie war Sängerin, sie hatten fürchterliche Krache. Sie hat herumgeschrien und ihm die Noten an den Kopf geworfen. Als sie noch ein Niemand war, meine ich. Sie probten seine Oper. Sie lief in ihre Garderobe. Er folgte ihr, und dort haben sie weitergestritten.«
    Viri kam mit einem Tablett und dem Tee zurück.
    »Ich erzähle gerade von Strauß und seiner Frau«, sagte Nedra.
    »Er hatte eine wunderschöne Handschrift«, kommentierte Viri.
    »Er war wirklich begabt.«
    »Er hätte Zeichner werden können.«
    »Na ja, auf jeden Fall trat das Orchester zusammen und verkündete, daß es keine Oper spielen wollte, in der diese Frau eine Rolle hatte. Und Strauß sagte, nun, das ist aber bedauerlich, da Fräulein de Ahna und ich uns gerade verlobt haben. Sie war ein absoluter Drachen, das kannst du dir nicht vorstellen. Er mußte darum betteln, daß sie ihn in ihr Zimmer ließ. Sie sagte ihm, wann er arbeiten solle und wann er aufzu-hören habe; sie behandelte ihn wie einen Hund.«
    Viri goß den Tee ein. Von den Tassen stieg ein feines Aroma auf.
    »Milch?« fragte er Eve.
    »Einfach schwarz«, sagte sie.
    Franca und Anthony kamen herein.
    »Wollt ihr Tee?« fragte er sie. »Holt euch zwei Tassen.«
    Er goß ihnen ein; sie saßen auf Kissen auf dem Boden.
    »Es gibt eine bestimmte Art von Größe«, sagte Viri, »die von Strauß zum Beispiel, die im Himmel entsteht. Der Künstler steigt nicht zum Ruhm auf, er erscheint in ihm, er trägt ihn schon in sich, und die Welt erkennt ihn an. Kometenhaft, wie ein Meteor - das sind die Ausdrücke, die wir benutzen, und sie treffen zu, es ist eine Art Feuer. Es macht sie weithin sichtbar, und gleichzeitig zehrt es sie auf, und erst später, wenn die Leuchtkraft fort ist, wenn ihre Knochen neben denen von unbedeutenderen Männern liegen, kann man sie wirklich beurteilen. Ich meine, es gibt berühmte Werke, die in der Antike sehr angesehen waren und heute absolut vergessen sind: Bücher, Gebäude, Kunstwerke.«
    »Aber stimmt es nicht«, sagte Nedra, »daß die meisten großen Architekten zu ihrer Zeit anerkannt waren?«
    »Na ja, das mußten sie wohl, sonst hätten sie ja nichts gebaut. Es gibt allerdings viele Architekten, die früher hoch angesehen waren und jetzt völlig unbedeutend sind.«
    »Aber nicht umgekehrt.«
    »Nein«, gab Viri zu. »Niemand ist bislang den anderen Weg gegangen. Vielleicht werd ich der erste sein.«
    »Du bist nicht unbedeutend, Papa«, protestierte Franca.
    »Unbekannt, aber ein Ehrenmann«, sagte Viri.
    »Wie wär's mit unbekannt, aber gewandt?« sagte Nedra.
    »Ha, gut, sehr gut«, sagte er. Er empfand ein wenig Verbitte-rung über die Witze, die sie machten.
    Als sie später begannen, das Abendessen zu bereiten, ging er nach oben. Er betrachtete sich im Spiegel, plötzlich ohne Illusion.

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