Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lichtjahre

Lichtjahre

Titel: Lichtjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Salter
Vom Netzwerk:
dauerte, die vulgären Städte. Ein einzelnes Auto kam ihr entgegen, gerade als die Kühe zur Fütterung hereinkamen, ein einsamer Chevrolet, still wie ein Vogel im Flug. Ein Junge und ein Mädchen saßen darin, dicht nebeneinander. Sie schienen sie nicht zu sehen. Sie trieben hinter ihr ins flirrende Licht. Kleine Gärten, Kirchen, handgemalte Schilder. Sie empfand keine Wärme des Wiedererkennens; für sie war es Trostlosigkeit, Verfall. Was für ein Scheitern, eines Tages hierher zurückzukriechen; es würde alles in einem Tag auslöschen. Ein Morgen im Herzen des Landes. Frühe Arbeiter mit ihren Wagen auf den Straßen. Bei einem Farmhaus wanderten zwei Enten benommen auf der Straße herum, wo zwischen weißen Federn eine dritte, vom Auto überfahren, blutig dalag. Gewächshäuser, alte Schulen, Fabrikgebäude mit zerbrochenen Fensterscheiben. Altoona. Sie bog in Straßen ein, an die sie sich aus ihrer Mädchenzeit erinnerte. Das Krankenhaus war gerade erwacht. Die Zeitungen des Vortages lagen noch in den Münzautomaten, die Opera-tionspläne waren noch nicht getippt.
    Man hielt sie sofort auf. »Es tut mir leid, aber Sie dürfen nicht rein«, sagte die Frau an der Rezeption. »Die Besuchszeit beginnt um elf.«
    »Ich bin die ganze Nacht durchgefahren.«
    »Sie können jetzt niemanden besuchen.«
    Um elf kam sie wieder. In einem Zweibettzimmer sah sie ihren Vater in dem Bett am Fenster liegen. Er schlief. Seine Arme auf der Decke schienen sehr zerbrechlich. Sie berührte ihn.
    »Hallo, Papa.«
    Seine Augen öffneten sich. Langsam drehte er den Kopf.
    »Wie geht es dir?« fragte sie.
    »Ganz gut, denk ich.«
    Sie konnte es deutlich sehen. Sein Gesicht schien kleiner, seine Nase groß, seine Augen erschöpft. »Ich bin jetzt eine Woche hier drin«, sagte er. Es gab nichts, was darauf hindeutete. Auf dem Tisch standen ein Wasserglas und ein Tablett. Es gab keine Bücher, keine Briefe, nicht einmal eine Uhr. Im Bett daneben lag ein alter Mann, der sich von irgendeiner Operation erholte.
    »Er hört nie auf zu reden«, sagte ihr Vater.
    Der alte Mann konnte sie hören. Er lächelte, als hätte man ihn gelobt.
    »Hält nie den Mund«, sagte ihr Vater. »Wo wohnst du?«
    »Im Haus.«
    Draußen war ein klarer sonniger Morgen. Das Zimmer wirkte dunkel.
    »Willst du eine Zeitung?« fragte sie.
    »Nein.«
    »Ich les sie dir vor, wenn du magst.«
    Er antwortete nicht. Sie blieb bis zwei. Sie redeten sehr wenig. Sie saß bei ihm und las. Er schien halb zu schlafen. Die Krankenschwestern weigerten sich, ihr Auskunft über seinen Zustand zu geben; er habe ein starkes Herz, sagten sie. Auf dem Flur sprach sie endlich mit dem Arzt. »Er ist sehr schwach«, sagte er. »Es war ein langer Kampf.«
    »Er hat schreckliche Schmerzen im Rücken.«
    »Ja, es hat sich ausgebreitet.«
    »Überall?«
    »Bis in die Knochen.« Er erklärte den Gewichts-und Kräfteverlust, die Auszehrung, die ihren Lauf nahm. Im Haus machte sie sich einen Tee und legte sich hin. Es war das Haus, in dem sie aufgewachsen war: tapezierte Wände, die Vorhänge grau. An der Hintertür war die Erde festgetreten, dort wuchs nie Gras. Sie rief Viri an.
    »Wie geht's ihm?«
    »Sehr schlecht.«
    »Wird er wieder gesund?«
    »Ich glaub nicht«, sagte sie.
    »Nedra, es tut mir so leid.«
    »Tja, da kann man nichts machen«, sagte sie. »Ich wohn hier im Haus.«
    »Geht das denn einigermaßen?«
    »So schlimm ist es nicht.«
    »Wie lange, glaubst du... Was meinen sie?«
    »Er wirkt so schwach, schon fast am Ende. Heut morgen war ich schockiert, wie weit es schon vorangeschritten ist.«
    »Willst du, daß ich runterkomme?«
    »Nein, nein, das würde wirklich nichts nützen. Es ist sehr lieb von dir, aber ich glaube, besser nicht.«
    »Na ja, wenn du mich brauchst... «
    »Viri, diese Krankenhäuser sind so gräßlich. Du solltest ein Krankenhaus entwerfen, mit Sonne und Bäumen. Wenn man stirbt, sollte man einen letzten Blick auf die Welt haben - ich mein, man sollte doch wenigstens den Himmel sehen können.«
    »Das ist alles nur Zweckmäßigkeit.«
    »Zum Teufel mit der Zweckmäßigkeit.«
    Als sie zum Krankenhaus zurückkehrte, schlief ihr Vater wieder. Als sie an das Bett trat, wachte er auf, die Augen plötzlich weit aufgerissen, bewußt. Sie saß den ganzen Nachmittag an seinem Bett. Abends nahm er nur ein paar Schluck Milch zu sich.
    »Papa, du mußt essen.«
    »Ich kann nicht.«
    Ab und zu kam eine Schwester herein. »Wie fühlen Sie sich, Mr. Carnes?«
    »Dauert

Weitere Kostenlose Bücher