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Lichtjahre

Lichtjahre

Titel: Lichtjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Salter
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wie er auf diese Straßen fiel, an lange Wintermonate, an Theateraufführungen, die vor Jahren hier gastiert hatten, an bestimmte reiche Familien, deren Häuser wie ein anderes Land waren, ihre Töchter, ihre Geschäfte. Sie dachte an ihren Vater, an Männer, mit denen er früher Karten gespielt hatte, seine Freunde, ihre Frauen. Es war vorbei, geschafft. Plötzlich fühlte sie, wie es durch sie hindurchging wie ein Omen. Sie war die nächste. Der Weg war frei für ihr eigenes Ende.

15
    Arnaud saß bequem in einem Sessel, gehüllt in den Dunst seiner Zigarre, träge, still vergnügt. Seine Heiterkeit war versteckt; sie war wie Kohlen unter der Asche, man mußte sie aufdecken, um sie zu entfachen. Sein Haar schien grauer, zerzauster, seine Augen blasser. Er hatte etwas von einem großartigen Clochard an sich, einem heiligen Versager. Er hatte volle Lippen, verfärbte, aber kräftige Zähne, ein Gesicht voller Leben.
    Nedra saß ihm gegenüber. »Du mußt dir eine Frage ausdenken«, sagte sie.
    »Gut.«
    »Und du mußt dich darauf konzentrieren. Ich kann das nur, wenn du's ernst nimmst.«
    Er rauchte eine kleine Zigarre, die aussah wie ein dunkles Stück Holz. Er nickte leicht. »Ich bin ernst.« Sie begann die Karten durchzusehen. Er beobachtete sie. Er war andächtig. Es war, als hätten sie zusammen eine Kathedrale betreten. Sie tauchten in eine kühle, spürbar andere Atmosphäre.
    »Ich werde jetzt eine Karte auswählen«, sagte sie, »die dich darstellt.«
    »Wie machst du das?«
    »Es hängt von deinen Eigenschaften ab, deinem Alter.«
    »Und was, wenn du mich nicht kennen würdest?«
    Ein kurzes Lächeln. »Wie sollte ich dich nicht kennen?« fragte sie.
    Sie legte eine Karte auf den Tisch, ein König in einem gelben Gewand. Seine Füße und der Thron, auf dem er saß, waren verdeckt, ein fränkischer König. »Der König der Schwerter.«
    »Sehr gut.«
    Es war Winter. Die Tage waren lang und von einer köstlichen Ziellosigkeit. Sie gab ihm die Karten. »Misch sie, und konzentrier dich dabei auf die Frage.«
    Er mischte sie langsam. »Woher stammt das Spiel?« fragte er.
    »Das Tarotspiel?«
    »Wer hat sich das ausgedacht?«
    »Niemand hat sich das ausgedacht«, sagte sie. »Hast du sie gut gemischt? Leg sie in drei Haufen. Du weißt, daß ich keine Expertin bin, Arnaud«, sagte sie, während sie die Karten auslegte.
    »Nein?«
    »Ich kenne nicht alle Feinheiten«, entschuldigte sie sich. »Aber ich weiß eine Menge.«
    Sie legte die Karten vorsichtig aus, mit einer Art zere-monieller Genauigkeit. Sie verdeckte den König mit einer Karte. Sie legte noch eine weitere quer darüber. Dann legte sie, weiterhin in kreuzförmiger Anordnung, einzelne Karten darüber, darunter und zu beiden Seiten. Merkwürdige Karten, die Bilder waren wie aus Büchern. Sie legte sie mit einem leichten, knappen Geräusch auf den Tisch. Neben das Kreuz legte sie vier Karten in einer Reihe untereinander, eine nach der anderen. Die vorletzte Karte war der Tod. Sie schien einen dunklen Schatten über den Rest zu werfen. Es war, als hätten sie beiläufig in einem fremden Brief gelesen und wären in der Mitte plötzlich auf eine schreckliche Nachricht gestoßen.
    »Also«, sagte Nedra, »da hast du eine wunderbare Karte.« Sie deutete auf die letzte. Es war der Kaiser.
    »Sie zeigt deine Zukunft«, sagte sie. »Sie bedeutet Verstand, Kraft, Größe.«
    »Der wichtigste Einfluß geht von hier aus.« Sie zeigte auf die Karte über seiner. »Das ist eine Frau, eine sehr gute Frau, eine Freundin, liebevoll, ehrlich. Sie ist der Schlüssel zu allem.« Sie waren in dem Duft des Tabaks verbunden, in der Kälte, die draußen vor den Fenstern lag, unter dem Winterhimmel, der weiß war wie ein Tuch.
    »Ich denke, daß deine Frage vielleicht sogar von dieser Frau beantwortet werden kann. Habe ich recht?« sagte sie.
    »Du bist einfach zu intelligent.«
    »Entweder sie kennt die Antwort, oder sie ist die Antwort.«
    »Also eigentlich ist die Antwort auf meine Frage entweder ein Ja oder ein Nein.«
    »Ich glaube, daß ich das noch nicht beantworten kann.«
    »Ich auch nicht«, sagte Arnaud.
    »Manchmal ist es unmöglich, Dinge, die das eigene Leben betreffen, klar zu sehen. Man ist auf jemand anderen ange-wiesen, der es einem zeigt.«
    »Dazu bin ich bereit.«
    »Wir reden von Eve, nicht wahr?«
    »Natürlich.«
    »Sie ist meine engste Freundin.«
    »Gar nicht so einfach, was?«
    »Du weißt, daß du der einzige Mann in ihrem Leben bist. Ich meine, in

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