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Lichtjahre

Lichtjahre

Titel: Lichtjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Salter
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Es trug einen grauen Bart, wie Asche. Sie küßte seine Wange, seine bläuliche Hand. Sie war noch warm. Die Schwester setzte seine Zähne ein. Vor der Tür begannen ihr die Tränen über die Wangen zu laufen. Sie ging benommen den Flur hinunter. Sie schwor sich eines: ihn nicht zu vergessen, ihn immer im Gedächtnis zu behalten, solange sie lebte.
    Die Beerdigung war einfach. Sie hatte keinen Gottesdienst gewünscht. Er wurde neben Grabmalen, auf denen schlicht Water stand, und Steinkreuzen, die wie Holzstämme gehauen waren, zwischen zur Seite geneigten Obelisken und Gedenktafeln für Kinder - Faye Milnor, Aug. 1930 - Nov. 1931, ein kleiner Stein, ein hartes Jahr -, hoch oben auf einer Anhöhe, in einem ruhigen, entlegenen Teil des Friedhofs, wo die Gräber leicht verwildert waren, begraben. Die Stadt mit ihren vielen Bäumen schien jetzt am Nachmittag im Schlaf zu liegen, aus der Ferne ähnelte sie einem naiven Gemälde.Ihr Blick glitt über Namen, während sie an den Gräbern vorbeiging. Tauben liefen auf dem Weg. Miniaturflaggen winkten ihr mit einem kurzen Kräuseln zu.
    Der Totengräber war ein junger Mann, sein Oberkörper war nackt, sein langes Haar hatte er nach hinten gebunden. Er nickte höflich und hörte auf zu arbeiten. Sein Hund lag unter einem Baum im Gras.
    »Machen Sie ruhig weiter«, sagte sie.
    Die Platte über dem Sarg war schon an ihrem Platz.
    »Das hier ist eine wirklich gute Stelle«, erklärte er ihr. Er hatte ein schmales Gesicht. Einer seiner Schneidezähne war abgebrochen. »Das nächste Mal, wenn Sie kommen, wird's schon grün sein.«
    »Sobald?«
    »Na ja, ein paar Wochen müssen Sie dem Gras schon geben. «
    »Ja«, sagte sie. »Wie heißen Sie?«
    »David.«
    Er war Mexikaner, wie ihr jetzt auffiel. »David... «
    »Ja, Ma'm.«
    Er fuhr mit seiner Arbeit fort. Er hatte magere Arme, aber er grub stetig. In der Ferne sah man die Kuppel der Kirche grau in den Himmel ragen. Sie wartete, bis das Grab halb gefüllt war.
    »Ist das Ihr Hund?« fragte Nedra.
    Es war ein Hund wie ein Collie, mit einer langen schmalen Schnauze.
    »Ja, die gehört mir.«
    »Wie heißt sie?« fragte Nedra.
    »Anita.«
    Sie sah noch einmal hinunter auf die Stadt. »Man wird sich doch gut um das Grab kümmern?«
    »Oh, ja, Ma'm«, sagte er. »Da können Sie unbesorgt sein.«
    Als sie ging, gab sie ihm zehn Dollar.
    »Nein«, sagte er, »das ist nicht nötig.«
    »Behalten Sie's«, sagte sie und ging den Hügel hinunter. Der Pfad schien jetzt steiler zu sein. An manchen Stellen war der hohe Eisenzaun, der den Friedhof umgab, eingefallen. Über ihr war der Himmel plötzlich dunkel geworden. Die Anzüge ihres Vaters lagen auf dem Bett, um von der Heilsarmee abgeholt zu werden, seine Hemden, seine leeren Schuhe. Die Erde war dumpf in die Grube gepoltert, in der er lag. Alle Schmuckstücke, Hüte, Gürtel, Ringe - wie unscheinbar und billig erschienen sie ohne ihn. Sie waren wie Dinge aus dem Theater, die bei Tageslicht betrachtet sehr gewöhnlich, sogar künstlich aussehen. Sie behielt ein paar der Fotografien; das Haus und die Möbel übergab sie einem Makler zum Verkauf. Sie löschte alle Spuren und kehrte in ein Leben zurück, das mit diesem nichts zu tun hatte, ein Leben, das strahlender war, freier. Sie hatte hier einmal siebzehn Jahre lang gewartet, verzweifelte Jahre, die Luft erfüllt von den Schwingungen der dahinter liegenden Welt; würde sie jemals ein Teil davon sein, würde sie jemals erlöst werden?
    Lebwohl, Altoona, Dächer, Kirchen, Bäume. Das Wasserwerk, wo sie viele Sommernachmittage verbracht hatten, der kühle, farnbewachsene Boden, die stillgelegten Pumpen, voll mit Schmetterlingen und Laub. Broad Avenue mit seinen Häusern, die Viertel der Namenlosen. Es schien, als säße in jedem düsteren Wohnzimmer eine Frau mit geschwollenen Beinen oder ein alter Mann, verbraucht, leer, gezeichnet. Eine von ihrem Äußeren her fast europäische Stadt, steil und geräumig, beschienen von der späten Nachmittagssonne. Wie alle diese Knotenpunkte war sie eine Strafkolonie, mit ihren Eisenbahngleisen in die Provinz genagelt.
    Sie fuhr das letzte Mal durch die Straßen. Altoona lag im blauen Morgenlicht, eine Stadt von Bäumen. Die billigen Cafés füllten sich, der Verkehr zog an ihr vorüber. Ärmliches Essen, einfache Menschen. All diese dürftigen Leben waren wie Humus; sie hatten die Bäume der Stadt gepflanzt, ihre Ecksteine gesetzt, ihre endlose Einsamkeit und Ruhe geschaffen. Sie dachte an den Schnee,

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