Lichtjahre
gezogen. «
Jivan hatte ein Baumwollhemd an, das er oben offen trug. Er schien voller Energie, fast Ungeduld.
»Komm, ich will dir was zeigen«, sagte er zu ihr. Er führte sie in die Küche, wo er vor den faszinierten Augen von Franca und Danny den Sellerie in vogelähnliche Figuren geschnitten hatte.
»Woher kannst du das?« sagte Kate.
»Gefällt's dir?«
»Phantastisch.«
»Du solltest ein paar Sellerie anpflanzen«, sagte er. »Hier, jetzt mach ich einen Schwan. Willst du etwas Wein?«
Es war Retsina. Er schenkte ihr etwas ins Glas. Sie probierte ihn. Wenn er dicht neben ihr stand, wirkte er ein wenig kleiner als sie. An seinem Finger steckte ein Ring mit einem dunklen Stein.
»Der schmeckt aber bitter«, beschwerte sie sich.
»Daran gewöhnt man sich. Franca, möchtest du einen Schluck probieren?«
»Ja, gerne.«
»Du wirst ihn schon noch mögen«, erklärte er Kate. »Letzten Endes sind die bitteren Dinge immer die besten.«
»Ach ja?« sagte sie.
Die Dunkelheit war gekommen. Das Haus war erleuchtet wie für einen Ball, überall waren die Lampen an. Nedra kochte. Sie war schöner denn je: ein schmaler Kamelhaarrock, die Ärmel hochgeschoben, die Handgelenke bloß. Neben ihr stand ein Glas Wein, an dem sie manchmal nippte. Arnaud unterhielt sich mit Viri. Sie hatten es sich zwischen den Kissen auf der größten Couch bequem gemacht. Sie lachten, sie begannen gleichzeitig zu lächeln. Sie waren wie die Inhaber einer Galerie, die man am Ende des Tages durch das klare, getönte Glas ihrer Fenster sieht; sie waren wie Verleger, Aktionäre.
Nedra brachte ihnen ihren St. Raphael. »Was treiben die in der Küche?« fragte Viri.
»Jivan versucht, sie zu verführen.«
»Noch vor dem Essen?«
»Ich glaub, er ist ein bißchen nervös«, sagte Nedra. »Er
wittert Gefahr.«
»Nedra, findest du nicht - ich meine, prinzipiell -, daß wir eine gewisse Verantwortung gegenüber ihren Eltern haben?«
»Was redest du da, Viri? Sie ist verheiratet.«
»Das stimmt nicht ganz.«
»So gut wie.«
»Ist sie nicht ein bißchen jung?« fragte Arnaud.
»Ach, das vergißt man«, sagte Nedra.
Das Essen, verkündete sie, als sie am Tisch saßen, war italienisch. Petti di pollo. Jivan schenkte den Wein ein. Diesmal lehnte Kate ab.
»Nimm doch etwas«, redete er ihr zu.
»Was ist petti di pollo!« fragte sie.
»Pollo ist Huhn«, sagte Arnaud.
»Und was ist petti? fragte sie.?
»Brust«, sagte er. »Du weißt, was man von Hühnchen sagt.«
»Nein.«
»Jedes Teilchen stärkt dein Teilchen.«
»Ich kann's gebrauchen«, sagte sie.
Arnaud war unbeschwert, witzig. Er erzählte Geschichten über Italien, von kleinen Städten am Meer, in denen es keine Hotels gab und man die Straßen entlangging und an Türen klopfte, um ein Zimmer zu finden, von Sizilien im brennenden Sonnenlicht, von Ravenna und Rom. Franca saß neben ihm und trank Wein.
Er hatte ein Gefühl für Sprachen. Er fiel immer wieder ins Italienische, tauchte hinein und heraus, als könnten sie es alle. »In Sizilien haben alle eine lupara - das ist ein Schrotgewehr. In der Zeitung war ein Artikel über einen Mann, der einen anderen Mann erschoß, weil er unter seinem Fenster zuviel Lärm gemacht hatte. Er kam vor den Richter, er tobte. ›Sie wollen also sagen, daß ich unter meinem eigenen Fenster niemanden erschießen darf?‹ fragte er.«
»Ist das wahr?« fragte Franca.
»Alles ist wahr.«
»Nein, im Ernst.«
»Entweder ist es wahr«, sagte er, »oder es wird wahr werden. Ich erzähl dir eine andere Geschichte. Da war ein Vater, der schenkte seinem Sohn eine Flinte. Sie war sehr klein. Es war eine luparetta. Der Sohn ging also in die Schule, und er traf einen anderen Jungen mit einer Armbanduhr. Es war eine sehr schöne Armbanduhr, er wollte sie unbedingt. Also tauschte er; er gab dem Jungen seine luparetta, und er bekam die Uhr.«
»Ist das eine wahre Geschichte?«
»Wer weiß? Als der Sohn am Nachmittag nach Hause kam, sagte sein Vater: ›Wo ist deine luparetta - Dov'è la luparetta?‹
Und der Sohn sagte: ›Ich hab sie getauscht.‹ ›Du hast sie getauscht!‹ - ›Ja‹, sagte er. ›Ich hab sie gegen diese Uhr ge-auscht‹ - ›Fantastico‹ , sagte der Vater, ›meraviglioso, du hast sie gegen eine Uhr getauscht. Und wenn jetzt einer kommt und deine Schwester eine Hure nennt, was machst du dann, sagst du ihm, wie spät es ist?‹«
Sie aßen wie eine Familie, laut, vertraut, die Teller wurden zwanglos herumgereicht. Kate trank aus
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