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Lichtjahre

Lichtjahre

Titel: Lichtjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Salter
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Arnauds Glas. Später spielte sie im Nebenzimmer Gitarre. Der Tisch wurde nicht abgeräumt. Nedra zündete das Feuer an, das sorgfältig vorbereitet war, trockene Holzspäne, darunter Papier. Es flackerte auf, griff um sich wie das unter Märtyrern. Sie saß neben Jivan. Sie tranken Birnenbrandy. Kate, die Gitarre auf dem Schoß, sang mit schwacher hoher Stimme ein Lied für Arnaud.
    »Du solltest sie besser hier rausschaffen«, flüsterte Nedra.
    »Mach dir keine Sorgen.«
    »Er wird sie ins Bett kriegen, das seh ich doch.«
    »Sie hat ein bißchen zuviel getrunken«, sagte Jivan.
    »Ja, aber nicht von deinem Wein.«
    »Sie hat gesagt, sie mag den Wein nicht.«
    »Warum flüsterst du, Nedra?« rief Viri.
    »Es macht Spaß«, sagte sie lächelnd.
    Sie schenkte Brandy nach. Sie war wie eine Weihnachts-irlande, ein Schmuck aus Silberfolie, der sich langsam drehte und dessen Glanz nur verschwand, um jedesmal neu aufzutauchen.
    »Du spielst wirklich schön«, sagte sie.
    Sie entschuldigte sich, um den Kindern gute Nacht zu sagen. Viri ging danach nach oben. Er gab seinen Töchtern einen Kuß. Als er auf ihren Betten saß, fühlte er die Wärme ihrer Zimmer, die Räume, in denen sie schliefen und träumten, icher waren. Ihre Bücher, ihre Sachen gaben ihm ein Gefühl von Stolz und Zufriedenheit. Auf der Treppe hörte er Stimmen, die sinnlichen Akkorde von unten. Kate saß dicht neben Arnaud. Auf ihren Zähnen lag ein bläulicher Schimmer, die Bläue, die auf reinem Weiß spielt, auf Diamanten. Plötzlich war er in Sorge um sie - nein, nicht in Sorge, wie ihm klar wurde, sondern voller Verlangen. Er war krank, als er an sie dachte, geschlagen, unglücklich. Der Schmerz, den er spürte, war ein Phantom-chmerz, wie der in den Zehen eines fehlenden Beins. Es war nur Begierde. Er hoffte, daß die Begierde ihn verließ. Er betete darum, daß sie ihm bewahrt blieb.
    Nedra sprach mit ihr. »Ich wünschte, ich hätte so viel Mut gehabt, als ich so alt war wie du«, sagte sie.
    Kate zuckte die Schultern. »Ich mag Kalifornien eigentlich gar nicht.«
    »Wenigstens hast du dort gelebt. Du weißt, wie's da ist.«
    »Meiner Mutter gefällt das alles nicht. Sie hätte gerne, daß wir heiraten.«
    »Wie ihr es macht, ist es besser«, sagte Nedra.
    Sie schenkte sich und Kate noch ein wenig Brandy ein. Jivan und Viri hörten der Musik zu; Arnaud saß ausgestreckt beim Kamin, den Kopf nach hinten gelegt, die Augen geschlossen. Es fiel immer noch Schnee, selbst die Straßen waren verschwun-en.
    Die Eleganz des Abends, das stehengelassene Geschirr auf dem Tisch, die Unbeschwertheit, mit der Nedra und ihr Mann miteinander umgingen, das Verständnis, das von ihnen auszugehen schien, all dies erfüllte Kate mit einem fieberhaften Glück, jener Art Glück, das zu geben in der Macht eines anderen liegt. Sie war voller Liebe für diese Menschen, die sie - obwohl sie während ihrer ganzen Kind heit in der Nähe gelebt hatten - plötzlich wie zum ersten Mal sah, die sie wie jemanden behandelten, der sie in dem Moment gerne gewesen wäre: eine von ihnen. »Kann ich dich besuchen kommen, während ich hier bin?« fragte sie.
    »Natürlich.«
    »Ich mein, ich red so gerne mit dir.«
    Ich würde mich freuen«, sagte Nedra. Eines Nachmittags also. Sie würden zusammen Spazierengehen oder Tee trinken. Sie war nie über ihren engen Kreis hinausgekommen, diese Frau, die Kate auf einmal liebte, diese Frau mit wissendem Gesicht, die kein bißchen sentimental war, die sich auf die Ellbogen stützte und kleine Zigarren rauchte. Sie war nie gereist, nicht einmal nach Montreal, und dennoch wußte sie genau, wie das Leben auszusehen hatte. So war es. In ihrem Herzen trug sie einen Instinkt wie den einer wandernden Spezies. Sie würde die Tundra erreichen, die Tiefen der Meere, sie würde heimfinden.
    Arnauds Augen waren offen. Sie waren ohne Neugier, ruhig, ein Zeichen, daß er langsam zu sich kam. Sein Gesicht war weich wie das eines Kindes. »Aus irgendeinem Grund hab ich den Drang einzuschlafen«, murmelte er. »Euer Haus ist so warm und gut.«
    »Du darfst tun, was du willst«, sagte Nedra. »Du solltest alles haben, was du willst.«
    Es folgte ein Schweigen. »Das hast du mir schon einmal gesagt«, bemerkte er.
    »Und ich hab mich immer daran gehalten.«
    »Alles, was ich will... daran hast du dich gehalten?«
    »Absolut.«
    »Ich wach langsam auf«, sagte er.
    Er hatte sich nicht bewegt, aber seine Augen waren aufmerksam. Er war in seiner Trägheit wie ein

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