Lichtjahreweit
geraff-Kodespruch nach Ost-Berlin – ohne zu ahnen, daß sein Führungsoffizier noch immer in der Stasi-Schlange vor dem Kaffeeautomaten stand. Später berichtete der BND über Pläne des Ministeriums für Staatssicherheit, dem Chauffeur posthum den Lenin-Orden zu verleihen, doch die einzige Quelle des BND war eine republikflüchtige MfS-Raumpflegerin. Verläßliche Informationen lagen nicht vor. Gerüchte. Kaum ließ einer dieser Kreml-Astrologen einen Furz, verschluckte sich der amerikanische Präsident an seinem medizinischen Koks-Cocktail und sah schon die Roten vor den Toren Washintons stehen. Was Mr. President, den unsäglichen Hiram »Cokie« Spoon betraf, so war er seit Wochen klinisch tot. Aber davon ahnten weder Alf noch Onnedecker etwas.
Alf dachte angestrengt über sein Engagement wider den Rüstungswahnsinn nach. »Man muß nur an der richtigen Stelle ansetzen«, brummte er.
»Au, fein«, stimmte Erika funkelnden Blickes zu. »Ich wüßte schon, wo …«
»Diese Militaristen wollen uns alle totmachen. Weißt du eigentlich, womit ich mich während meiner Bundeswehrzeit beschäftigen mußte?«
»Mit Strammstehen«, vermutete Erika. Und fügte anzüglich hinzu: »Aber inzwischen hast du wohl alles vergessen.«
»Ich mußte wie ein Irrer polieren«, sagte Alf. »Vormittags die Geschützrohre der Panzer vom Typ Laus und Assel; nachmittags die Orden unseres Divisionskommandeurs. Es war nervenaufreibend, und es dauerte drei Monate. Danach wurde ich zum Planungsstab für Subversive Friedenssicherung versetzt. Wir klebten massenweise Wundertüten mit zersetzendem Inhalt und schickten sie an Ballons hinüber zu den Schulen der Roten. Die Volksarmee schoß mit ihrer Flak unsere Ballons ab, und der ganze Scheiß fiel ihnen auf die Birne. In den Nachrichten wurde damals groß darüber berichtet. Weißt du das nicht mehr?«
»Nein«, sagte Erika. Sie zog die Bettdecke über ihre Brüste. »Und überhaupt – was soll dieses zusammenhanglose Gefasel? Bist du wieder bis zum Stehkragen voll mit Dope?«
»Ich betreibe private Vergangenheitsbewältigung.« Mit grimmiger Miene sprang Alf aus dem Bett und stürmte ins Badezimmer, wo er sich den drei Tage alten Bart abrasierte. »Ich will damit sagen: Wir alle stecken den Kopf in den Sand, während die Politprofis eine einzige Kaserne aus der Republik machen. Die Sicherung des Friedens liegt in den Händen von berufsmäßigen Killern und …« Das Summen des Rasierapparats übertönte seine weiteren Worte. Erika verstand nichts. Im übrigen interessierte sie sich auch nicht für Alfs Worte, sondern für seine Pornohefte, in denen sie mit lüsternen Blicken blätterte.
»Wow!« machte sie anerkennend. »Das is’ ja ’n Ding!«
Von ähnlichen Gedanken erfüllt, erreichte Professor Onnedecker indessen sein Ziel: Ein vierstöckiges Haus mit rosa Fassade und unzüchtigen Neonreklamen in der City von Heilbronn, ein mittelstädtisches Bordell, das dem nervenkranken Latexfabrikanten Bernie Guthoff gehörte. Im Foyer dieses Etablissements spielte ein Endlostonband rund um die Uhr den Braunhemden-Marsch, und stets roch es nach verschwitzten Achselhöhlen; ein Beweis für Onnedeckers Exzentrik und Guthoffs verdrehtes Hygieneverständnis. Onnedecker ahnte noch immer nichts von den zehn Milligramm der Spore KMK-37 an seinem Nylonsockenhalter. Der Professor wies seinen Chauffeur an, auf ihn zu warten, und schlüpfte dann – getarnt mit falschem Bart und einem bodenlangen Lodenmantel – in Bernies Bordell. Der Chauffeur vertrieb sich die Wartezeit mit seinem Ost-Berliner Führungsoffizier; in den Stasi-Katakomben war man an Onnedeckers Bordellbesuchen äußerst interessiert.
In Alfs Ruhrstädter Mansardenwohnung war das Summen des Rasierapparats verstummt. Alf putzte sich gründlich die Zähne und kehrte mit Schaum vor dem Mund ins Schlafzimmer zurück. »Je mehr ich nachdenke«, erklärte er, »desto mehr komme ich zu der Überzeugung, daß dringend etwas geschehen muß.«
»Ganz deiner Meinung.« Erika warf das Pornoheft zur Seite und schlug die Bettdecke zurück. »Ich habe mich schon gefragt, wann du endlich vernünftig wirst.«
»Die Leute wissen ja nicht einmal, um was es geht, wenn von der schrecklichen Atomrüstung gesprochen wird.« Alf ignorierte Erikas geöffnete Schenkel, bückte sich und suchte unter dem Bett seine Anti-Schweißfuß-Socken zusammen. »Guten Morgen«, sagte das Bett. »Auf, auf, die Sonne lacht! Ha, ha!« Alf kam wieder hoch. »Oder glaubst du,
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