Lichtlos 1 (German Edition)
Nacht eingehüllt wird, auf die unaufdringlich erschauernden Bäume, graut mir vor dem Blutvergießen, das ich vermutlich begehen muss; ich habe den Verdacht, es wird sich nicht verhindern lassen. »Es herrscht keine echte Harmonie im Harmonie-Winkel .«
Sie sagt: »Pass man bloß auf, dass dieser … Winkel für dich nicht zur Falle wird, junger Mann .«
4
Für den Fall, dass ich beobachtet werde, setze ich mein Schnüffeln nicht gleich fort, sondern kehre zu meinem Bungalow zurück und schließe die Tür hinter mir ab.
Vor gar nicht allzu vielen Jahren waren fast hundert Prozent der Menschen, die glaubten, ständig überwacht zu werden, nachweislich Paranoiker. Aber kürzlich kam ans Licht, dass der Heimatschutz und mehr als hundert andere Agenturen auf regionaler sowie auf Bundes- und auf Landesebene im Namen der öffentlichen Sicherheit Luftüberwachungsdrohnen von der Sorte einsetzen, die bisher nur auf Schlachtfeldern im Ausland zum Einsatz kamen – in geringer Höhe außerhalb der Zuständigkeit der Flugverkehrskontrolle. Bald wird die größere Sorge nicht mehr die sein, heimlich beobachtet zu werden, während man seinen Hund spazieren führt, sondern die, dass die sich rasch vermehrenden Drohnen beginnen werden, miteinander und mit Passagierflugzeugen zu kollidieren, und dass man von der herabstürzenden Drohne getötet wird, die einen überwacht hat, um sicherzugehen, dass du Fidos Kacke mit einem von staatlicher Seite für diesen Zweck gebilligten Beutel aufgehoben hast.
Nachdem ich in meinen Bungalow zurückgekehrt bin, spiele ich mit dem Gedanken, im Fernseher einen Sender einzustellen, der Filmklassiker zeigt, um zu sehen, ob Katharine Hepburn oder Cary Grant mir suggerieren werden, dass ich schlafen soll. Aber das Koffein wird meine Augenlider bald aufstemmen; und ich habe den Verdacht, ich muss wenigstens dicht vor dem Einnicken stehen, bevor der Eindringling – wer oder was auch immer es sein mag – durch das TV -Gerät Zugang zu mir hat.
Ich schalte die meisten Lichter aus, sodass es von außen so wirken könnte, als hätte ich meine Erkundung von Harmony Corner beendet, und lasse eine schwache Lampe als Nachtlicht brennen. Dann setze ich mich auf die Bettkante und esse einen Schokoriegel.
Einer der Vorteile daran, fast ständig in Gefahr zu leben, ist der, dass ich mir wegen Dingen wie Cholesterin und Zahnfäule keine Sorgen zu machen brauche. Ich werde mit Sicherheit schon lange, bevor Ablagerungen meine Arterien schließen können, getötet werden. Was Löcher in den Zähnen angeht, neige ich dazu, meine Zähne stattdessen in gewalttätigen Auseinandersetzungen zu verlieren. Ich bin noch keine zweiundzwanzig und habe bereits sieben Zähne, die von Menschenhand angefertigte Implantate sind.
Ich esse den zweiten Schokoriegel. Bald sollte ich durch all den Zucker und das Koffein derart aufgedreht sein, dass ich in der Lage sein werde, den nächstgelegenen Megawatt-Rundfunksender durch die Titanstifte zu empfangen, die diese sieben künstlichen Zähne in meinem Kieferknochen verankern. Ich hoffe, es wird kein Sender sein, der sich auf die größten Disco-Hits der Siebziger spezialisiert hat.
Ich schalte die letzte Lampe aus, die auf einem Nachttisch steht.
Hinter dem Bett in der Rückwand des Bungalows bietet ein Drehflügelfenster, das mit einer Kurbel bedient wird, einen Ausblick auf die nächtlichen Wälder. Die beiden Scheiben öffnen sich nach innen, um frische Luft einzulassen, und ein Fliegengitter sorgt dafür, dass Nachtfalter und andere Quälgeister draußen bleiben. Das Fliegengitter steht von oben unter Zug und lässt sich leicht rausnehmen. Es entstehen kaum Geräusche, als ich es von draußen wieder einsetze.
Der letzte Aspekt meines sechsten Sinnes ist das, was Stormy paranormalen Magnetismus genannt hat. Wenn ich jemanden finden muss und nicht weiß, wo diese Person sich aufhält, bewahre ich ihren Namen an vorderster Front meiner Gedanken auf und führe mir ihr Gesicht vor Augen. Dann mache ich mich zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit einem Wagen auf den Weg und begebe mich, ohne einer beabsichtigten Route zu folgen, dahin, wo eine Laune mich hinführt, obwohl ich tatsächlich durch eine nachtwandlerische Intuition zu dem betreffenden Menschen hingezogen werde. Normalerweise spüre ich die gesuchte Person innerhalb von einer halben Stunde auf, oft sogar noch schneller.
Paranormaler Magnetismus funktioniert auch – obgleich weniger gut – , wenn ich nach einem
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