Lichtpfade - Die Chroniken der Akkadier II (Gesamtausgabe)
an seinem Bauch, während er versuchte, im weißen Glanz der Iriden dieses Löwen etwas zu erkennen. Natürlich hatte er Recht.
Natürlich habe ich das!
Aber das änderte nichts an der Tatsache, dass Ju jegliche Motivation fehlte, sich mit diesem Geschöpf auseinanderzusetzen.
Du würdest es nicht bereuen, gähnte der Löwe gelangweilt.
„Also gut. Wie bist du hierher gekommen?“
Falsche Frage! Die Bestie begann ihre Pfoten zu putzen. In langsamen Zügen kämmte die raue Zunge das Fell an ihren Vorderläufen.
Allmählich verlor er die Geduld. „Warum bist du hier?“
Aha!, sprach der Löwe gedehnt und betont amüsiert. Er unterbrach seine Beschäftigung und begegnete Jus Blick. Warum also bin ich hier? Das ist eine gute Frage, wobei wir nicht außer Acht lassen dürfen, was das ‚Hier‘ wirklich ist.
Der Akkadier wartete darauf, dass die Bestie fortfahren würde, doch das tat sie nicht. Er sah sich in der Höhle um, erkannte das graue Tageslicht, das in einiger Entfernung schimmerte, und schaute wieder zurück.
„Ich träume.“
Korrekt!
Die projizierten Schmerzen in Jus Magen ließen nach.
Das sollte dir auch erklären, warum ich mich so untypisch verhalte.
Ju kannte keinen Akkadier, dessen Bestie derart kontrolliert und überlegt agieren würde. Nicht einmal seine eigene war fähig, sich im Zaum zu halten, hatte sie erst Gestalt angenommen. Er saß also keiner wahrhaftigen akkadischen Bestie gegenüber, sondern nur einem Abbild seines Unterbewusstseins.
Nicht ganz, schmunzelte der Löwe. Aber fürs Erste genügt es.
„Du hast das ‚Warum‘ nicht beantwortet.“
Tatsache! Mein lieber Ju, es gibt nicht viel, das mich dazu bringen würde, in deine Träume einzudringen. Doch kannte ich dich einst als einen stolzen Krieger, der seine Pflichten erfüllte, sich durch nichts beeinflussen ließ und dem Pfad des Lichtes stets folgte. Diesen hast du verlassen.
Darum ging es also. „Ich töte Taryk. Das ist meine Bestimmung.“
Du tötest aus der falschen Veranlassung heraus.
„Ein Akkadier braucht keinen Grund, um einen Taryk zu töten.“
Keinen Grund, aber eine Überzeugung.
„Ich bin sehr überzeugt von dem, was ich tue!“
Der Löwe senkte seinen Blick und schüttelte langsam den riesigen Kopf. Wir haben einen langen Weg vor uns, hörte Ju ihn in seinem Kopf sagen.
„Ich nicht!“
Das werden wir noch sehen!
Als Elín erneut aufwachte, war sie dem Höhlenausgang schon wesentlich näher gekommen. Doch das Licht von vorn wurde zunehmend schwächer und sie hatte keine Ahnung, wie spät es mittlerweile war. Wahrscheinlich würde bald die Nacht hereinbrechen und dann wollte sie zweifelsohne nicht mehr allein in dieser dämlichen Höhle festsitzen. Aber das Vorankommen fiel ihr schwer. Sie schleppte sich, kroch vielmehr Meter um Meter nach vorn. Ihre Muskeln arbeiteten viel zu schwerfällig, als wären sie vollkommen erschöpft, wovon auch immer. Und je näher sie dem schwindenden Tageslicht kam, desto nervöser wurde etwas tief in ihr. Als würde ein ihr fremder Teil das Licht fürchten. Vermutlich war es nur ihre eigene Angst, die sich meldete. Womöglich war sie einfach vollkommen fertig. Scheißegal! Sie musste hier raus, wollte nach Hause, wollte zu ihren Eltern.
Eine halbe Stunde später war vom Tageslicht kaum noch etwas übrig. Elín kam am Höhlenausgang an und versuchte auf ihren Beinen Halt zu finden. Sie stützte sich gegen die Felsen, obwohl ihre Finger vor Kälte schon blau angelaufen waren, und spähte in die Dunkelheit hinaus.
Da war gar nichts. Es gab nicht einen verfluchten Anhaltspunkt, der ihr vertraut vorkam. Keinen Hügel, keinen Pfad, nichts.
Elín sackte wütend zusammen und blieb auf dem kalten Stein sitzen. Sie verstand es einfach nicht. Und sie war mutterseelenallein. Sie fror. Ihre Klamotten waren nass und standen vor Dreck. Und sie hatte nicht die geringste Ahnung, wie sie aus diesem Mist wieder herauskommen sollte.
In ihrer Kehle bildete sich ein Kloß, der nach oben drückte. Ihre Augen wurden feucht, blinzelten, bis die ersten Tränen über ihre Wangen rollten.
„So eine verfluchte Scheiße!“, flüsterte sie. „Wie zum Teufel hab ich das angestellt?“
Elín atmete einmal tief durch, sammelte sich, wischte die Tränen fort und versuchte aufzustehen. Mit zittrigen Beinen stolperte sie einen kleinen Abhang hinunter und lief geradeaus in die Nacht hinein.
Der Akkadier schlug die Augen auf und die Schmerzen in seinem Bauch kehrten schlagartig
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