Lichtpfade - Die Chroniken der Akkadier II (Gesamtausgabe)
zurück, hatten ihn wohl nie verlassen.
Nachdem er unsterblich geworden war, hatte Ju aufgehört zu träumen. Er überlegte kurz. Doch in den folgenden eintausendeinhundertacht Jahren hatte er tatsächlich nie geträumt. Bis heute.
Aber das änderte nichts.
Was ihm sein Kopf gezeigt hatte, waren nur verworrene Bilder. Sie ergaben keinen Sinn, störten lediglich seine Konzentration und sein Vorhaben.
Ju sprang auf die Füße, kämpfte einen Moment gegen die Schwärze, die seine Sicht einrahmte, und erinnerte sich daran, dass er trinken musste. Die Aussicht darauf, mit Menschen Kontakt zu haben, ließ den Klumpen in seinem Magen zu einer brodelnden Masse anschwellen. Wenn er sich nicht besser kennen würde, könnte er vermuten, schlechte Laune zu haben. Aber bei jemandem, der nicht fühlte, war dies ausgeschlossen. Es hing lediglich mit seiner Abneigung gegen körperlichen Kontakt zusammen.
Der Akkadier ergriff das Bambusrohr, worin er seinen chinesischen Langstock transportierte, legte sich das Lederband über Schulter und Brust und schob die Waffe zum Rücken herum. Am Höhleneingang angekommen blickte er nach oben. Die Nacht war klar, nur einzelne Wolken verdeckten die Sterne. Doch keiner von ihnen leuchtete für Ju. Nicht einer, der seine Aufmerksamkeit anzog.
Er kletterte die Felswand hinauf und ging landeinwärts.
Die Insel war im zentralen Hochland dünn besiedelt. Ju bezweifelte, ob er überhaupt einen Menschen hier in der Nähe finden würde. Ob er gar auf ein Tier zurückgreifen müsste.
Früher war es so viel einfacher gewesen. Er hatte von Diriri getrunken und sie von ihm. So hatten sie sich gegenseitig eine Stärke geschenkt, die nur wenige Akkadier besaßen, im Prinzip nur Paare. Aber ein Paar, wie Menschen es verstanden, waren sie nie gewesen. Zumindest nicht von seiner Seite aus.
Etwas Dunkles begleitete ihn. In einiger Entfernung. Zwei Taryk, vermutete er.
Unglaublich, wie viele es davon in dieser Gegend gab, wo doch kaum menschliche Opfer zur Verfügung standen. Wahrscheinlich hatten sie sich nach der Schlacht im Hochland vor zwei Monaten auf der Insel verteilt und versuchten sich ohne ihre Königin zurechtzufinden. Ju überlegte, ob sie Island wirklich verlassen hatte, wohin sie geflüchtet sein könnte und ob sie zu ihrem Volk noch Kontakt hatte. Assora – jene Kreatur, die Diriri getötet hatte.
Der Akkadier stoppte und beugte sich würgend nach vorn.
Hinter ihm wurden Schritte lauter. Verdammt! Er war geschwächt, aber für diesen Kampf musste es noch reichen.
Innerhalb eines Augenzwinkerns griff Ju nach dem Gùn an seinem Rücken, zog ihn aus der Halterung nach vorn, entfernte die linke Kappe und wirbelte den Langstock um sich herum nach hinten, genau in das dunkelgraue Fleisch eines Taryk, der abrupt und mit aufgerissenen, pechschwarzen Augen stehenblieb. Das Einzige, was sich in diesem Moment bewegte, war sein schulterlanges Haar, das, wie bei jedem Seelenreißer, selbstständig auf dem Kopf tanzte. Sein Körper wirkte gewohnt hager.
Der zweite Angreifer holte mit seinem Schwert aus, wollte es auf Jus Schulter senken, doch dieser wich nach links aus und beförderte ihn mit einem kräftigen Tritt drei Meter entfernt zu Boden. Der Taryk an Jus Klinge schob sich rückwärts und griff mit der dunklen Hand an die Wunde, aus der schwarzer Rauch quoll. Er sah auf und verengte die Augen, packte sein Kurzschwert mit beiden Händen und rammte es gegen Jus Langstock. Der zweite hatte sich aufgerappelt und kam auf sie zugelaufen. Ju parierte die Angriffe der beiden abwechselnd, musste jedoch nach hinten ausweichen.
Früher hätte er sie mit einer kurzen Handbewegung auf Abstand gehalten. Doch die zusätzliche Gabe, Dinge allein mit seinem Willen zu bewegen, war mit Diriri gestorben. Nur ihr Blut hatte Ju die Kraft dafür geschenkt.
Der linke Taryk schlug seinen Gùn mit dem Kurzschwert beiseite. Im nächsten Moment spürte der Akkadier die Klinge des rechten zwischen seinen Rippen. Ju biss die Zähne zusammen und sprang nach hinten, riss das Schwert in seinem Leib mit sich und damit aus den Händen des Gegners. Er wechselte mit dem Langstock zur linken Hand, wehrte den Angriff des anderen Taryk ab und zog gleichzeitig das Schwert aus seiner Seite. Beidhändig bewaffnet schaffte er es, den wehrlosen Seelenreißer zu verletzen, konnte sich anschließend dem zweiten zuwenden, zwang ihn mit dem Gùn nach links und durchtrennte mit dem Schwert seinen Hals. Der Kopf verflüchtigte sich zu einer
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