Lichtschwester - 8
und Sandel.
Er rührte sich nicht.
Da befahl Thros dem Mann, der ihr das Amulett geraubt hatte, sie
ja gut im Auge zu behalten, und kniete sich neben Kelf nieder. Er
säuberte seine Wunden von Tuch- und Panzerfetzen, hielt ihm
eine schmale Klinge unter die Nase, um zu sehen, ob Atem den
polierten Stahl beschlüge, und fühlte an seinem Hals nach einem
Puls.
Als er, durch den verletzten Arm behindert, Kelf mit einiger Mühe
den Talisman abgerissen hatte, ließ er sich von Reilas Bewacher
den ihren reichen und verglich sie miteinander. Nun nickte er.
»Dieser Mann wird binnen einer Stunde sterben«, sagte er und ließ die zwei bis aufs Haar gleichen Anhänger vor ihren Augen
baumeln. »Aber du könntest ihn retten, nicht wahr?«
Sie wußte, daß sie ihn sterben lassen sollte. Dann würde auch sie
sterben - und Thros wüßte nicht mehr, als er sich zusammenge-
reimt hatte … So hätte Kelf gesprochen, wenn er bei Bewußtsein
gewesen wäre.
Aber als ihr Blick auf seine zerhauenen Handschuhe fiel, sah sie
die starken männlichen Hände, die ihr zu Beginn ihrer einwöchi-
gen Initiationsriten den Kelch ihres Bundes gereicht hatten. Als
ihr Blick dann auf seine maskenhaft geschlossenen Lider fiel, sah
sie die hellgrauen, durchdringenden Augen, die ihr am letzten Tag
der Zeremonie ewige Treue gelobt hatten. Und als ihr Blick auf
seine aufgesprungenen Lippen fiel, erinnerte sie sich an die zärt-
lichen Küsse, die er ihr in der Nacht darauf und in den Jahren
seither gegeben hatte … und an die prachtvollen Kinder, die die
Frucht ihrer leidenschaftlichen Liebe waren.
Wenn jetzt nur ihr Leben auf dem Spiel gestanden hätte, hätte sie
es ohne Zögern geopfert. Sich selbst hätte sie töten können, aber
nicht ihn - nicht einmal durch Untätigkeit und Nichtstun.
Kaum zu einem Entschluß gekommen, fiel sie nun der Trance an-
heim. Der Erdenquell wallte wieder so kraftvoll wie eh und je, aber
ihr Leib vermochte die Energien nur mit Mühe zu fassen und zu
leiten. Sie sandte ihren Sinn aus zu Kelf und fühlte, daß das Le-
bensfeuer in seiner Brust noch glomm … und sie entfachte es wie
mit einem Blasebalg zur lohenden Flamme.
Seine inneren Wunden schlossen sich. Neues Blut strömte durch
die entleerten Adern. Und all die Abwehrkräfte vereinten sich, um
die Infektionen, die schon in seinem Bauch und einem Bein wüte-
ten, zu bekämpfen und zu besiegen.
Da sank Reila erschöpft ins Heidekraut zurück. Der Kopf schwirrte
ihr. Wie von fern nur vernahm sie noch das Gekeuche und Ge-
murmel der Hrogi. Dann hörte sie auch das nicht mehr.
Die Wolkendecke war verflogen und das regennasse Gras vom
Glanz der untergehenden Sonne erfüllt, als sie wieder zu sich
kam.
Sie sah Kelf, seiner Rüstung beraubt und fester noch gefesselt, in
ein paar Schritten Entfernung auf einem Rock liegen, den man
offenbar der toten Sandel ausgezogen hatte, und sie spürte und
sah, daß auch sie selbst, wenn auch nur mit dünnen Lederschnüren
um die Handgelenke und Fußknöchel, gefesselt worden war.
Ihre Blicke trafen sich. Kelf war zwar übel zugerichtet und noch
mit Narben, Schürfwunden und blauen Flecken übersät, hatte je-
doch seine Wachheit und Spannkraft wieder. Seine Totenblässe
war einem hellen Rot gewichen. Reila hatte ihn nicht ganz wieder-
herstellen können, aber doch soweit, daß er außer Lebensgefahr
war. Ja, er war in gewisser Hinsicht sogar in besserer Verfassung
als sie.
Aus dem Augenwinkel sah sie, wie ein Merlin unweit von ihnen
eine Maus schlug und mit der Beute in der Ferne verschwand.
Aber ihr Blick ruhte unverwandt in dem ihres Bundgefährten, und
sie sahen einander wortlos an.
»Ah, endlich aufgewacht?« rief jemand vergnügt.
Als Reila darauf den Kopf wandte, sah sie Thros näherkommen -
er hatte eine frische Armschlinge um. Hinter ihm sah sie die ande-
ren drei Hrogi um ein Holzkohlenfeuer geschart. Sie brieten an
langen Spießen zwei Schneehasen, die einen köstlichen Duft ver-
breiteten. Reila verspürte keinen Hunger, dankte aber Mutter
Erde für diesen Bratenduft, da er den immer noch über dem
Schlachtfeld liegenden Blutgeruch etwas überdeckte.
»Das war atemberaubend«, sagte Thros und wies auf den weitge-
hend genesenen Kelf. »Unsere Zauberer träumen schon lange da-
von, die Kraft der Erde, der Sonne oder des Meeres zu kanalisie-
ren. Viele haben es versucht, wurden aber durch die gewaltigen
Energien, die sie zu bündeln versuchten, getötet oder ihres Ver-
standes
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