Lichtschwester - 8
Waffe, soviel war sicher. Sie könnte sich hier und jetzt auf ihn stürzen. Aber der Schnee war so verdammt rutschig, und einer, der splitternackt im knietiefen Schnee stehen konnte, ohne sich den Tod zu holen, konnte womöglich noch mehr als das … Es war auch nicht zu erkennen, wo er Trin gefangenhielt und ob er wirklich allein war. Er war also klar im Vorteil. Und dann auch noch dieses verfluchte Lächeln!
Sie machte schweigend kehrt, um den Rückzug anzutreten, und sah sich erst an der Tür wieder um. Aber da war er verschwunden, samt der Laterne.
Als Sharik in die Gaststube zurückkehrte, fand sie dort, um Emry geschart, auch das übrige Gesinde vor. Der alte Pferdeknecht sah besorgt, aber auch zweifelnd drein. Und die Zwillinge standen mit angstgeweiteten Augen da - die eine weinte gar. Sie redeten alle zur gleichen Zeit und wild durcheinander. »Was war das?« »Was hast du gesehen?« »Lebt sie noch?«
Und Ressa, die Dreyan fest an sich drückte, stand stumm am Ofen und starrte Emry an, als ob er eine Viper sei. Da warf Sharik die Tür hinter sich zu und schrie: »Ruhe jetzt!« Und sie nutzte die nun eintretende Stille, um ihre Gedanken zu sammeln. »Trin lebt noch«, sagte sie dann, so überzeugend wie möglich. »Emry, erzähle mir, was da geschah!« Der verängstigte Junge schluckte hart und stotterte: »Ich … ich kam von euren Pferden zurück, nach denen ich noch geschaut hatte. Irgend etwas hatte sie so erschreckt, daß sie wie wild gegen die Boxen traten, aber ich habe sie beruhigen können. Ja, und da sah ich Frau Trin am Holzstapel stehen. Ich rief sie. Und sie sagte, komm und hilf mir mit dem Feuerholz.« Sein Gesicht verzerrte sich nun. »Da … stieg irgend etwas von hinten über den Holzstoß und packte sie.«
»Und du bist einfach weggelaufen?« fragte der Pferdeknecht böse.
»Trin wollte es«, verteidigte sich Emry. »Es stand dort im Schein der Laterne, so daß wir beide es gesehen haben. Zuerst war es auf allen vieren … aber als es sich aufrichtete, um Trin zu packen, sah es wie ein Mensch aus. Nur völlig behaart, mit einem Maul wie ein Wolf und mit glutroten Augen.«
Vom Ofen her erklang ein Keuchen. Ressa war weiß im Gesicht geworden, und ihr rotes Muttermal leuchtete wie frisches Blut.
»Und, hat es gesprochen, Emry?« fragte Sharik, ohne Ressa aus den Augen zu lassen. »Hat es irgend etwas gesagt?« »Etwas gesagt?« wiederholte Emry verständnislos. »Es knurrte wohl eher.«
Sharik runzelte die Stirn - Emrys Bericht und ihre Beobachtungen ließen nur den einen Schluß zu … Sie trat auf Ressa zu, die wie angewurzelt dastand, und sagte nur ein Wort: »Haldan!«
86Damit hatte sie wohl ins Schwarze getroffen! Ressa sah gehetzt um sich, wie ein Hase in der Falle, und ließ sich, da sie nun keinen anderen Ausweg sah, vor Sharik auf die Knie fallen. »Im Namen der Großen Beschützerin«, flehte sie, »bitte ich um Schutz für meinen Sohn!«
Sharik spürte ein Stechen, Kribbeln in sich hochsteigen und tief in ihrem Bewußtsein etwas wachsen… etwas, was Ressa kühl wog und maß. Dann überwältigte der helle Zorn sie. Und sie riß Ressa am Handgelenk auf die Beine und führte sie schnurstracks in die Küche. »Wir möchten nicht gestört werden«, rief sie den anderen noch zu und schloß die Tür fest hinter sich.
Dann gebot sie Ressa, sich zu setzen, und fragte. »Ist dir denn klar, worum du mich da eben gebeten hast?«
»Ja doch«, erwiderte Ressa, den Blick unverwandt auf das Kind auf ihrem Schoß gerichtet. Aber Sharik war nicht überzeugt. Schutz zu geben, das war eine der ältesten Traditionen des Ordens der Roten Falkin. Ja, sie reichte bis in jene Zeit zurück, in der es diesen Orden noch gar nicht gegeben hatte und die Falkinnen nur in losen Gruppen umher-geschweift waren und aus diesem oder jenem Grund in den Tempeln, die den anderen Erscheinungsformen der Großen Herrin geweiht waren, Zuflucht gesucht hatten und zum Dank dafür zu den Waffen gegriffen hatten, um die Tempel gegen Banditen und anderes Gelichter zu vertei-digen. »Du hast mich gebeten, Dreyans Beschützerin zu werden …«, klärte sie Ressa auf.
»Nicht nur vor dem, was immer da draußen sein mag, sondern auch vor jedem hier, der versuchen sollte, deinen Jungen auszuliefern.«
Als Ressa nickte, fuhr Sharik fort: »Du scheinst jedoch nicht zu wissen, daß dieser Schutz seinen Preis hat … die Wahrheit. Die Große Kriegerin bewahrt keinen vor dem Los, das er verdient. Ehe ich dir ihren
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