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Lichtschwester

Lichtschwester

Titel: Lichtschwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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vergessen.
      Nun, als sie auf dem Felsüberhang in der Nachmittagssonne saß und die Bäuerinnen und Bauern beobachtete, die ihre Gerste mähten und dabei irgendein uraltes Erntelied sangen, war ihr, als ob sie auf ihr längst untergegangenes Dorf schaue. Sie mochte dieses Gefühl.  
      Nicht, daß sie die harte Feldarbeit, das mühselige Leben in ihrem armen Dorf vermißt hätte - nach ihren Nordbergen sehnte sie sich mit einemmal so sehr.
      Der Weiler unterhalb der Felswand hieß Grathred und war der
Ort, der die Opalreliquie barg. Seinen Namen, seine Lage hatte sie
von der Kräuterhexe eines Dorfes am Fuße der Westberge erfah-
ren, bei der die Barbaren sie unter der Drohung zurückgelassen
hatten, im Fall ihres Todes, wovon ihr Schamane unfehlbar er-
führe, mit Feuer und Schwert wiederzukehren. Einen Monat lang
hatte Nelerissa dort im Fieber- und Zauberschlaf gelegen. Die
Hexe hatte sie aber erst ziehen lassen, als sie völlig genesen, wieder
zu Kräften gekommen war, und ihr auf ihre Auskunft, sie sei auf
Pilgerfahrt zu dieser gottgesandten, heiligen Reliquie, ohne Zö-
gern den Weg bis dorthin beschrieben.
      Sinnend blickte Nelerissa auf die Frauen und Männer von Grath-
red, die sich so auserwählt fühlten, daß sie die Götter sogar bei
der Arbeit lauthals priesen. Ja, die Gerstenernte fiel heuer sehr gut
aus - selbst für diese Julukelaregion, wo man dank der ergiebigen
Schneeschmelze und gelegentlichen Regenfälle in den Westber-
gen ja später und mehr erntete als andernorts im Reich. Was
Wunder also, daß die Leute hier glaubten ...
  Aber die Meisterdiebin Nelerissa Grassamen wußte den wahren
Grund des unverhofften Segens: Es war der Glaube dieser Dörfler
selbst. Weil sie glaubten, göttliche Hilfe zu haben, arbeiteten sie
noch fleißiger, werteten jedoch die reichen Früchte ihres Fleißes
als neuen Beweis göttlicher Gunst - und legten noch mehr Fleiß an
den Tag, um sich dies Wohlwollen zu erhalten. Was die wirkliche
Hilfe der Götter natürlich erübrigte.
      Und sie sangen so froh und mähten so fleißig, daß Nelerissa sich
ganz sicher war: Der Opalschädel war noch im Dorf.
  Da ihr die Kopfhaut von der Sonnenhitze nun weh tat, stellte sie sich in den Schatten einer mächtigen, uralten Kiefer. Sie hüllte sich in den Umhang, den ihr die Kräuterfrau geschenkt hatte, zog dann, zum Schutz gegen die Sonne, die Kapuze hoch und setzte sich an den Felsrand, um das Dorf zu beobachten - und auf die Nacht zu warten.
      Ein Halbmond aus brennenden Wachskerzen stand hinter dem
einzigen anderen Objekt, das auf dem Altar zu sehen war. Und das
war, nach Größe, Form und allen Details, einschließlich der
stumpfen Zähne, ein Menschenschädel ... Er war aber nicht aus
vergilbtem Knochen, sondern aus einem in feinsten, prächtigsten
Farben, in vielerlei Rot-, Blau- und Grüntönen schillernden Stein,
der nichts anderes als Opal sein konnte. Aber ein Opal groß und
schön genug, um das Lösegeld für einen gefangenen König - oder
der Preis für den Rang der Diebskönigin zu sein.
  Nelerissa kniete vor dem Altar nieder und musterte den Schatz,
um dessentwillen sie den weiten, gefahrvollen Weg auf sich ge-
nommen und viel gelitten hatte. Er war riesig und fabelhaft. Und
er war zum Greifen nahe. Er brächte ihr Rang und Wohlstand.
  Dann könnte sie sich als steinreiche und für alle Zeiten berühmte
Diebin zur Ruhe setzen. Was war das wert?
      Sosehr sie sich auch anstrengte: Sie sah hier ebensowenig etwas
von gewöhnlichen Sicherungen und Fallen wie zuvor am Eingang
der kleinen Holzkirche. Aber es konnten hier ja auch andere Ge-
fahren lauern. Also versenkte sie sich, zum zweitenmal in zwei
Minuten, in jene Art der Trance, die man alle Nordbergler gelehrt
hatte.
      Nelerissa besaß zudem die bei den Berglern seltene Gabe, in den
tiefsten Trancestufen alle Zauber zu sehen. Man hatte sie deshalb
zu einem Schamanen in die Lehre gegeben. Leider hatte sie bis
zum Überfall der Reichstruppen kaum mehr als einige Tricks zur
Lösung von Zaubern gelernt. Nur mit Glück war sie am Leben
geblieben und entkommen, aber ihr Talent, Zauber zu lösen und
zu löschen, hatte ihr danach geholfen, eine der besten Diebinnen
in der Geschichte Arehernas zu werden.
      Die Diebin wußte, daß der Opal nicht von den Göttern stammte.
  Die besten Opale kamen von den Hängen der erloschenen Vulkane
auf der anderen Seite der Westberge; die kaiserliche Armee, die als
erste bis zu deren Ostrand

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