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Lichtschwester

Lichtschwester

Titel: Lichtschwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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billigen, kupferdrahtumwickelten Armreifen und Halsketten
aus geschliffenem Glas ein schmerzlicher Anblick und eine Krän-
kung! Aber Nelerissa verbiß sich jede Bemerkung: Es waren ja nur
Wilde. Nun flüsterten sie auch noch in einer rauhen, gutturalen
Zunge miteinander, die sie nicht verstand. Und sie selbst hatte
noch nicht die Kraft zu sprechen.
      Einer dieser Barbaren, die erstaunlich zuvorkommend zu ihr wa-
ren, sah sie nun so Auge in Auge an, daß sie das Fett in seinen
Haaren roch, und sagte: »Fremde, du stehst unter dem Schutz der Götter!« Er sprach das Reichsidiom, mit ganz leichtem Akzent. » Du
hast das Feuer der Sommerhölle durchquert. Die Götter haben dich
geläutert und dich für eine große Aufgabe erwählt... Wir dulden
sonst keine Fremden, stellen uns aber den Göttern nicht in den
Weg. Ihr Wille geschehe! Sobald unser Schamane dich gesundge-
pflegt hat, bringen wir dich zu deinem Volk zurück.«
  Nelerissa starrte ihn traurig an. Ihre Leute waren doch tot oder in
alle Winde verstreut - von den Truppen Arehernas massakriert,
versklavt, vertrieben worden! Die wilden Steppenvölker hatte nur
ihre Todesverachtung vor jenem Los bewahrt: Denn diese Barbaren
töteten bei hoffnungsloser feindlicher Übermacht sich selbst und
ihre Angehörigen - und ihre Pferde. Und da hatten ein paar kluge
Reichsbürokraten begriffen, daß der Nachschub an edlen Walla-
chen, die selbst die besten Zuchtpferde des Reichs schlugen, in
Gefahr kam, und hatten zu einem Frieden und Bündnis mit ihnen
gedrängt. So war das barbarische Reitervolk sogar zur einzigen
Nation mit Meistbegünstigtenstatus geworden. Wilde waren diese
Leute dennoch geblieben.
      Und Nelerissa fragte sich, ob diese Kerle sie wirklich durch die
Goldene Steppe zurückschleppen wollten. Sicher, sie würden dank
ihrer schnellen Pferde und ihrer Kenntnis geheimer Oasen weitaus
zügiger vorankommen als ihre Karawane - aber doch wenigstens
zwei Monate für den langen Weg brauchen.
      Aber bevor sie darauf eine Antwort finden konnte, schwanden ihr
wieder die Sinne.
      Sie träumte.
      Dräuende Schatten begleiteten ihre Flucht nach Süden und Osten,
längs endloser bergiger Gestade ... in die Hauptstadt des Reichs.
  Aus den Schatten der Slums trat der ranke, schlanke Mann, ein
Fremder in einer fremden Stadt, der mit jähen Hieben die letz-
ten vier jener Kerle erledigte, die sie angefallen hatten. Schatten
huschten im selben Takt wie sie und ihr Retter, als er sie im Um-
gang mit Dolch und Schwert zu höchster Perfektion führte und
sie die Kunst des Beutelschneidens, Einschleichens und Einbruchs
lehrte. Und Schatten tanzten, als sie in einem langen, spärlich erleuchteten Saal mit einem anderen Flüchtling aus den Nordbergen, den sie in der Stadtschänke kennengelernt hatte, den waffenlosen Kampf übte. Schatten lagen wie Samt über dem Bett, in dem sie Degen mit einer anderen Frau dabei überraschte ... seinem Namen in ganz anderem Sinne Ehre zu machen. Und Schatten lasteten über ihr, als sie dann mit ihrem treulosen Geliebten, Bubenstück um Bubenstück, um den Rang des Diebskönigs konkurrierte.
      Aus diesen Schatten, die ihr Bewußtsein verdunkelten, starrte ihr ein Schädel von unvergleichlichem, unergründlichem Opal entgegen, der seine fleischlosen, schillernden Kiefer aufsperrte und lachte und lachte und ihr laut zurief, daß er nie und nimmer zu erringen sei.
      Auf einem Felsen über dem Großen Fluß saß Nelerissa barhäuptig in der Herbstsonne und summte, unhörbar für jeden, ein Lied, das in aller Munde war - oder es gewesen war. Vor fünf Monden, bei ihrem Weggang aus der Stadt. Wahrscheinlich war es seitdem durch andere Balladen anderer Barden abgelöst worden und die durch andere und andere. Wie gerne hatte sie doch im Reichszentrum und nach seinem Herzschlag gelebt, die neuesten Lieder gehört, all die Märkte und Läden mit edlen Gewändern und Waffen, mit Kuriosa aus aller Welt durchstöbert. Schon in ihrer Jugend hatte sie sich gewünscht, in Areherna zu leben! Und sie war nach dem blutigen Sieg des Reichs, dem Untergang ihres Volkes nicht nur deshalb dorthin geeilt, weil es mit seinen über fünfzigtausend Einwohnern ja mühelos ein paar tausend Geächtete und Flüchtige aufnehmen konnte - sondern auch, weil es der Mittelpunkt der Welt war. Aber über dem geschäftigen Treiben der Stadt, dem Kampf ums Überleben und ihrer Karriere als Diebin hatte sie alles, was sie an ihrer Heimat so geliebt hatte, mehr und mehr

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