Lichtschwester
Widerwillig, lustlos. Man hatte ihr, nach dem sehr guten Abendessen, das beste Bett im ganzen Gasthof gegeben, und es war viel zu behaglich ... Ihr war gar nicht nach Aufstehen. Warum habe ich mir bloß diesen Beruf da ausgesucht? grübelte sie.
Meine Eltern wollten mir eine standesgemäße Hochzeit arrangie-ren, und ich hätte einen Haufen Kinder großziehen können, die mich im Alter versorgen und verwöhnen würden. Sie seufzte tief, kuschelte sich in die Kissen und zog die Decken bis zum Kinn. Aber es hatte keinen Sinn, es aufzuschieben! Es war zwar noch längst nicht Tag, aber diese Dörfler versammelten sich bestimmt schon und warteten drauf, die Heldin noch einmal zu sehen, die gekommen war, um den Drachen zu töten. Also stieß sie die Decken beiseite, setzte sich auf und streckte vorsichtig ihr linkes Bein, um ihr Knie gelenkig zu machen. Dann beugte sie den Kopf - gegen die Kreuzschmerzen -, stand ächzend auf und reckte und streckte sich, erst behutsam und etwas steif, aber dann, als ihre Gelenke und Muskeln geschmeidiger wurden, um einiges behender. Darauf banda-gierte sie mit Tuchstreifen sorgsam ihr linkes Knie und ihren rechten Ellbogen, beugte sich über die Waschschüssel, spritzte sich etwas kaltes Wasser ins Gesicht und wusch sich den Schlaf aus den Augen. Nun das Anlegen der Rüstung - auch das ging jetzt langsamer als früher ... Stiefel, Knieschoner und Beinschienen, dann das dicke Steppwams und darüber das Panzerhemd. Kettenhaube und Helm würde sie erst aufsetzen und die Handschuhe erst anziehen, wenn sie das Gebiet des Drachen erreichte - aber die wattierte Unterhaube zog sie sich, weil sie ihre grauen Haare so gut verbarg, gleich über.
Natürlich stand schon fast das gesamte Dorf vor dem Gasthaus, als sie von Kopf bis Fuß gewappnet aus der Tür trat, und man empfing sie mit chaotischem Hurrageschrei. Da reckte sie sich und hob den Kopf, erwiderte die Hochrufe mit betont kämpferischer Haltung - die Leute brauchten ja nicht zu wissen, wie schwer ihr das schon fiel oder welche Anstalten sie treffen mußte, um sich auf Briand, ihren schwarzen Hengst, zu schwingen. Für diese Menschen war sie immer noch Yngilda, die berühmte Drachentöterin.
Später, als sie zum Dorf hinausritt, machte sie sich wegen ihrer
Unlust beim Aufstehen Vorwürfe. Die Dörfler hatten bestimmt
alle, obwohl sie offenbar bitterarm waren, ihr Scherflein beige-
steuert, damit sie das beste Essen und das beste Bett am Ort be-
käme ... Der Drache hatte zwar seit Menschengedenken keinen
einzigen von ihnen mehr geholt, raubte ihnen aber regelmäßig
Vieh, auch ihr Zugvieh. Ja, auf einem Feld am Wegrand hatte sie
gesehen, wie ein Mann den Pflug selbst zog, während ein anderer
führte. Der Drache hungerte die Leute so langsam aus.
Aber, fragte sie sich, habe ich hier nicht nur falsche Hoffnungen
geweckt? Habe ich noch das Zeug dazu, dieses Untier zu töten? Ich
bin nicht mehr, was ich einmal war. Immer noch recht schlank und
muskulös, Sankt Michael sei Dank! Aber die Reflexe sind langsa-
mer geworden, und dann das böse Knie und der schlimme Ellbo-
gen, diese Narben, die bei kaltem Wetter schmerzen, ja, und eben
nicht mehr die Ausdauer wie früher. Ich muß ihn auf Anhieb erle-
digen. Falls mir das nicht gelingt, müssen sie sich eine andere Dra-
chentöterin holen.
Beim letzten Kampf, gut ein Jahr zuvor, wäre sie um ein Haar auf
der Strecke geblieben - gegen einen jungen, unerfahrenen Dra-
chen. Und von dem hier hieß es, er sei alt und schlau.
Aber der Ritt nun hatte ihr schon gut getan. Ihre Morgensteifheit
und die Schmerzen waren wie weggeblasen. Sie setzte sich auf-
recht und überließ sich dem Rhythmus der kraftvollen Schritte
Briands. Nein, das Leben in einer Burg oder Residenz, den Fami-
lienalltag mit all seinem Ärger, hätte sie nicht ertragen. Dies hier
war es, was sie liebte; für sie kam nichts anderes in Frage. So an
einem schönen, klaren Morgen hinausreiten, die Sonne aufgehen
sehen und die Vögel singen hören, diese reine Landluft riechen ...
Rein? Sie krauste die Nase und schnupperte. Verdammt, es stank
schon leicht nach Schwefel! Da zügelte sie ihr Pferd und blickte
sich um. Nach dem, was man ihr im Dorf gesagt hatte, müßte sie
nun in der Nähe seiner Höhle sein: Zur Rechten und Linken ge-
nau die angekündigten hohen Felsen. Die Vegetation war jedoch
üppiger, als sie erwartet hatte. Vielleicht war es ja noch ein
Stück! Aber in meinem Alter sollte man wohl kein
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