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Lichtspur

Lichtspur

Titel: Lichtspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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ungefähr wusste, wo man sich befand. Korridore zweigten vom Rückgrat des großen Reifens ab und reichten auf beiden Seiten drei- bis vierhundert Meter weit. Die schicken Büros und Konferenzräume befanden sich an den Rändern, in den relativ wenigen Räumen mit Seitenfenstern. Die Lagerbereiche, die gesicherten Labors und die abgeschirmten Computer waren da untergebracht, wo Li sich gerade befand, in der engen weißen Welt der inneren Korridore.
     
    04:06:27
     
    Sie würde es schaffen. Hier waren der Quergang, in den Cohen sie geschickt hatte, und die fünfte Tür. Sie scannte den Raum hinter der Tür. Niemand da. Sie machte sich mit dem Dietrich am Schloss zu schaffen und benutzte dabei den Code, den Cohen bereits aus dem System geholt hatte.
Dann trat sie durch die Tür und durchquerte ein weitgehend leeres Labor bis zu einem Desktop-Terminal, das hinter einem veralteten Multikanal-Quantenansibel untergebracht war. Sie zog die Haube ihres Anzugs vom Kopf und stöpselte sich ein. Diesmal erwarteten sie keine Torwächter, keine dunkle Präsenz, die in den Tiefen des Systems lauerte. Sie öffnete das Kommunikationsmenü und zitterte vor Erleichterung. Dann wählte sie die Nummer.
    Im selben Moment hörte sie das unmissverständliche Klicken, mit dem der Sicherungshebel eines Neural-Disruptors umgelegt wurde.
    »Umdrehen«, sagte eine harte Stimme. »Und zwar langsam. Das heißt, wenn Sie in zehn Sekunden noch am Leben sein wollen.«
    Sie erstarrte, hob vorsichtig die Hände und drehte sich um. Der Wachmann stand fünf Meter von ihr entfernt – knapp außer Trittweite. Alles an ihm war kalt, hart, professionell. Lis Hoffnung erstarb, als sie ihn sah. Er deutete auf ihr Gewehr. »Werfen Sie das Magazin aus.«
    Sie gehorchte.
    »Jetzt lassen Sie es fallen.«
    Sie ließ es vor sich auf den Boden fallen. Die Elektroden des Disruptors zielten auf ihre Brust. »Schieben Sie’s mit den Füßen rüber.«
    Sie tat es.
    »Und jetzt das Gewehr.«
    Sie ließ das Gewehr hinter dem Magazin über den Boden schlittern – ihre letzte Hoffnung entfernte sich über die Haftbeschichtung der Bodenplatten.
    »Sind Sie allein?«, fragte er. Als sie gerade den Mund aufmachte, um zu antworten, klingelte der Computer.
    Sie fuhren beide vor Schreck zusammen. Wieder zuckte der Lauf des Disruptors in ihre Richtung. »Gehen Sie weg von dem Terminal«, sagte er beim zweiten Klingeln. Li
holte tief Luft, beugte die Knie und machte eine Rolle über den Boden.
    Sie wollte mit ihrer Rolle hinter dem Kondensat-Array des Terminals landen, weil sie davon ausging, dass der Wachmann nicht auf sie schießen würde, wenn er dabei die kostbaren Kristalle in dem Gerät gefährdete. Aber sie irrte sich.
    Als sie über den Boden rollte, hörte sie den peitschenartigen Schuss des Disruptors und spürte, wie sie die Entladung traf. Ein solcher Treffer hatte nichts mit der pulsierenden Taubheit gemein, die einem Schuss aus einem kleinen Handdisruptor folgte. Er fühlte sich eher so an, als ob ihr jemand mit einem heißen Skalpell ein handgroßes Stück Fleisch aus dem Rücken schälte und dabei alle Nervenenden freilegte.
    Sie kroch zur Seite und kauerte sich in die unsichere Deckung des Ansibel, wo sie alle Mühe hatte, etwas Luft in ihre noch verkrampften Lungen zu pumpen. Ein saurer Kupfergeschmack breitete sich in ihrem Mund aus; ihre Zähne hatten auf die Zungenspitze gebissen, als die Entladung sie traf.
    »Verdammt noch mal«, hörte sie den Wachmann knurren. Seine Schritte hallten durch den Raum und hielten neben dem Mainframe inne. Sie hörte das Zischen eingesaugten Atems, als er auf den Bildschirm blickte. Dann merkte sie, dass das Telefon nicht mehr klingelte. Cohen war im System.
    Wenn sie den Wachmann nur ein paar Sekunden von dem Geschehen im Computer ablenken konnte, würde es Cohen vielleicht gelingen, die Daten rauszuschaffen. Und dann konnte er vielleicht auch sie rausschaffen. Sofern er nicht entschied, sie im Stich zu lassen.
    In einer einzigen flüssigen Bewegung stand sie auf und zog ihre Beretta. Es war verrückt, hier eine solche Waffe
abzufeuern. Aber sie befand sich tief im Innern der Station, deshalb war das Risiko nicht allzu groß, dass sie einen Riss in der Außenhülle verursachte. Außerdem hatte sie keine andere Schusswaffe mehr.
    Der Wachmann sah, dass sie eine Waffe zog, dann sah er, um welch eine Waffe es sich handelte. Das Blut wich ihm derart aus dem Gesicht, als habe ihn bereits ein Schuss ins Herz getroffen. »Ich habe

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