Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lichtspur

Lichtspur

Titel: Lichtspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
Vom Netzwerk:
»Was zum Teufel machen Sie da?«, rief einer von ihnen.
    Sie richtete die Waffe auf ihn. »An Ihrer Stelle würde ich bleiben, wo Sie sind.«
    Er sah sie an, und sie wusste, dass er überlegte, ob sie schießen würde oder nicht, ob er sie mit Worten beruhigen konnte oder nicht. Sein Blick richtete sich auf ihre Schulter, bemerkte das Blut an ihrem Ärmel, den notdürftig geflickten Riss in ihrem Anzug. Sie sah ihm an, dass er darüber nachdachte, was es bedeutete, sich mit einem Notfall-Druckanzug ins harte Vakuum zu begeben – was selbst mit einem intakten Anzug ein Wagnis war. Dieser Gedanke und der Moment der Unentschlossenheit, der ihn begleitete, verschafften Li die Zeit, die sie brauchte. Sie stieg aufs Geländer des Stegs und ließ sich rückwärts fallen wie ein Taucher, der über die Reling eines Landungsboots kippte.
    Sie hatte geplant, sich aufzufangen und gerade lang genug vom Laufsteg zu hängen, um vor den ersten kritischen Schüssen geschützt zu sein, bevor sie sich fallen ließ. Aber sie hatte ihre Schulter vergessen. Sie spürte, wie das Geländer unter ihren schwachen Fingern durchrutschte, ein paar Millimeter zu weit, als dass sie es zu fassen bekam.
    Sie schlug hart auf, hielt aber, Gott sei Dank, die Knie zusammen. Sie schaffte es sogar, die Beretta festzuhalten, als sie aufprallte und sich überschlug. Als sie gegen die Kuppel stieß, spürte sie, dass eine Welle durch das Viruflex ging wie ein Erdbeben. Sie hielt den Atem an und wälzte sich herum. Für einen Sekundenbruchteil lag sie mit dem Bauch zum Weltraum und blinzelte in die gleißende Unendlichkeit der Sterne, die sich im zersplitterten Viruflex spiegelten. Dann platzte die Kuppel, und Li wurde in einem Wirbel blendender, glitzernder Glassplitter in den Weltraum hinausgeschleudert.

    Sie konnte sich in dem rotierenden Chaos aus Algen, Metall und Viruflexsplittern nicht orientieren, also ließ sie sich treiben. Sie hatte alle ihre Karten ausgespielt, auch die letzte. Jetzt lag es an Cohen, sie aus dem Schlamassel herauszuholen. Wenn er konnte. Wenn er bereit war, es zu riskieren.
    , informierte sie ihr Orakel.
    Sie zählte bis siebzig, aber kein Schiff tauchte auf, um sie zu retten. Ihren Scannern zufolge waren sie und die Trümmer das Einzige, was sich auf dieser Seite der riesigen Station bewegte.
    Sie schlug die Augen auf. Immer noch drehte sich der glitzernde Wirbel um sie, aber er hatte sich so weit ausgedünnt, dass sie den Weltraum dahinter sehen konnte. Sterne kreisten über den fernen Horizont. Die Station ging vor ihrem Visier auf und unter wie ein Stern, den sie umkreiste. Sie sah ihre hauchzarten Solarsegel in der perfekten, blendenden Helligkeit der Leere aufblitzen und dachte an das Leben, das sie geführt hatte.
    Dann öffnete sich eine Tür, strahlend weiß vor dem schwarzen Sternenhimmel, eine silbrige Leine schlängelte sich hervor wie die Hand eines Gottes und fing sie ein.

Kollaps der Wellenfunktion
    ► Stellen wir uns ein Kartenspiel vor. Der Geber – nennen wir ihn das Leben – mischt die Karten, wobei es einige mehr sind als die üblichen zweiundfünfzig. Er zieht eine Karte, mischt wieder, zieht noch eine. Wir sehen jedes Mal eine und nur eine Karte, und auf Grundlage dieser einen Karte – eine unter einer unendlichen Anzahl ungezogener Karten – konstruieren wir alle unsere Theorien, alle unsere Vorstellungen vom Universum.
    Aber was sieht der Geber? Wenn die Kohärenztheorie zutrifft, sieht er jede Karte. Er sieht sie nicht nur. Er gibt sie aus. Jede Karte. Bei jedem Zug.
    Können wir Bedeutung aus einem Universum ableiten, in dem alles möglich ist und alles, das möglich ist, wirklich geschieht? Natürlich können wir. Wir tun es jeden Tag. Bewusstsein, Gedächtnis, Kausalität sind die Bausteine dieser Bedeutung – die Bausteine des Universums-wie-wir-es-sehen.
    Die eigentliche Frage ist: Können wir eine Theorie entwickeln, die das Universum-wie-wir-es-sehen transzendiert und uns etwas über das Universum-wie-es-ist verrät? Können wir das Mischen der Karten beobachten?
     
    Aufnahme 934.12. Physik 2004. Erste Vorlesung (H. Sharifi):
Einführung in die Quantengravitation

Shantytown: 3.11.48.
    S ie erwachte in dunklem Wasser, schwebte in den heißen, salzigen Tränen eines Meditanks.
    Sie stellte sich vor, dass sie atmete, aber sie wusste, dass sie an eine Art Nabelschnur angeschlossen war und ihre Lungen mit

Weitere Kostenlose Bücher