Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lichtspur

Lichtspur

Titel: Lichtspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
Vom Netzwerk:
schwindelerregend schnellen Zugang.
    Es war, als tauche sie in den Spinstrom ein – aber ein Strom ohne VR, ein Strom aus reinen Zahlen. Die Zahlen wurden direkt in Lis Gehirn eingespeist, und ihr Orakel verarbeitete sie mit einer Geschwindigkeit, an die kein manueller Computerbenutzer hereinreichte. Aber trotz allem musste Li sie verarbeiten. Und obwohl ihre eigenen Interface-Einstellungen ihre Wahrnehmungen verzerrten, war an diesen Zahlen etwas, das den gewaltigen, fremdartigen Geist hinter den Zahlen erahnen ließ. Es war nicht zu verwechseln mit dem Eindruck, den man beim Surfen durch den Spinstrom gewann, jedenfalls nicht, wenn man ein Gefühl für den Code hatte, den man ausführte. Der Stromraum war auf seine eigene Art lebendig, aber nur in dem Sinne, wie auch ein Planet oder ein Sonnensystem lebendig waren. Das hier war etwas anderes. Hier spürte Li mit jeder Berechnung, jeder Operation, dass sie in etwas eingedrungen war. Oder in jemanden. Sie erwischte sich dabei, wie sie sich in Gedanken duckte oder auswich, die Präsenz hinter dem Betriebssystem des Zed nicht an sich heranlassen wollte. Sie dachte an Sharifi, in der Grube gefangen, von Geist zu Geist mit der halbintelligenten Feld-KI von Compsons Orbitrelais verbunden, und schauderte. Es war ein Bild, das geradewegs aus den finstersten Tiefen ihrer Albträume aufstieg.
    Die Labor-KI verhielt sich allerdings angenehm passiv, während Li einen Bildschirm nach dem anderen aufrief und sich Schritt für Schritt auf die Hintertür zuarbeitete,
die Cohen ihr auf der letzten Einsatzbesprechung gezeigt hatte. All das änderte sich, als sie eine Verbindung nach draußen herzustellen versuchte. In dem Moment, als sie den Kanal öffnete, spürte sie eine Verschiebung, einen Schub im System. Es erinnerte sie an den schauderhaften Druck, den man auf den Ohren spürte, wenn jemand eine Druckluke aufgebrochen hatte und eine Luftwalze durchs Schiff fegte. Und was immer diesen Schub verursachte, war mehr als die Summe der Dateien und Operationsplattformen auf dem Laborcomputer. Es war sich ihrer bewusst. Es wusste, dass Li etwas vorhatte. Es wusste, dass sie eine Verbindung nach draußen herstellen wollte. Und es dachte darüber nach. Mit acht Milliarden parallelen Operationen pro Picosekunde.
    Obwohl alle Geschwindigkeit, die sie aufbringen konnte, bedeutungslos war, beeilte sie sich. Die Verbindung kam zustande. Der eigens dafür eingerichtete Kanal auf dem Starling flammte auf wie ein ferner Stern in der Dunkelheit.
    Der erste Klingelton.
    Keine Antwort.
    »Komm schon, Cohen. Geh ran!«
    Der zweite. Li spürte, dass die KI sich erhob wie ein mächtiges Raubtier, ihre Prozessormuskeln anspannte und ihre gewaltige Masse aufbäumte, um die kleine Laus abzuschütteln, die Li war.
    »Tu mir das nicht an, Cohen!«
    Das dritte Signal. Und der Zed fiel über sie her.
    Er durchlief die Sicherheitsoperationen so schnell, dass der ganze Datenraum sich in ein einziges schwindelerregendes, verschwommenes Gewirr verwandelte. Li versackte, rotierte. Sie wusste, dass sie die Verbindung abbrechen sollte, aber sie konnte nicht mehr durchs System navigieren, nicht einmal ihren eigenen Körper kontrollieren. Der
eingespeiste Code verzerrte und verbog sie, als der Zed ihre Systeme übersteuerte. Ihre Implantate stürzten ab, gerieten ins Stocken, lieferten fehlerhafte Impulse. Der Datenstrom vergiftete sie. Ihr eigener Geist, der Überlastung nicht gewachsen, ließ sie im Stich. Sie fing an zu halluzinieren. Die Zahlen wurden lebendig. Sie pulsierten mit einer kalten Wachsamkeit wie Tiefseeorganismen. Ein Geist bewegte sich in ihnen, blind, dunkel, immer wach. Ein Geist ohne Worte. Ein Geist, der unter einem Druck von hundert Atmosphären geformt wurde. Er kreiste, suchte sie. Belauerte sie. Und sie wusste mit niederschmetternder Gewissheit, dass sie sterben würde, wenn er sie fand.
    In weiter Ferne zuckte ein Körper zusammen, und ein Hocker flitzte mit quietschenden Rollen übers Deck. Das Telefon klingelte noch einmal, aber der externe Datenstrom war, verglichen mit der Schwindel erregenden Parallelverarbeitung des Zed, so langsam und unkomprimiert, dass das Signal Lis Gehirn nur als ein tiefes, von Dopplereffekten verzerrtes Jaulen erreichte. Selbst das weiße Rauschen der Leitung dehnte sich so weit, dass jedes Knacken und Kratzen atmosphärischer Störungen zu einem verzerrten Heulen wurde. Das Dunkle innerhalb der Dunkelheit sammelte sie und glitt auf sie zu.
    Klick.
    Sie

Weitere Kostenlose Bücher