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Lichtspur

Lichtspur

Titel: Lichtspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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brechen. Sie brauchte keine internen Monitore, um zu wissen, dass eine Rippe Sharifis Lunge durchbohrt hatte. Sie hatte auch
keinen Zweifel, was geschehen würde, wenn Voyt weiter solche Schläge austeilte.
    Aber er hörte auf. Er zog sich zurück, sobald er sicher sein konnte, dass sie nicht mehr hochkam, und wartete. Er tat nichts, als Sharifi sich auf die Knie und Hände hochstemmte. Selbst als sie sich die Treppe hochzuziehen versuchte, wartete er. Haas kam nach, als Sharifi gerade vor Schmerzen zusammenbrach. Er schaute Voyt über die Schulter.
    »Was sie eben gesagt hat«, sagte er zu Voyt. »Über Nguyen. Fragen Sie sie, was Nguyen wissen muss.«
    Voyt rollte Sharifi auf den Rücken und fasste sie an der Hand. Er tat es langsam, fast sanft, und plötzlich verstand Li, was Bella immer über ihn gesagt hatte. Sie wusste es aus dem Bauch heraus, mit einer schuldbewussten Gewissheit, die ihr nichts anderes übrig ließ, als Sharifi einen schnellen, schmerzlosen Tod zu wünschen. Denn ganz gleich, was Voyt sonst getan hatte, welche Uniform er auch trug und welche Rechtfertigungen er sich selbst einredete, er hatte das Herz eines Folterers.
    Er lächelte. Es war ein nettes Lächeln; Li fiel auf, dass er ein gutaussehender Mann gewesen war. Er erklärte ruhig das Risiko, sich bei einer Befragung selbst auf die Zunge zu beißen. Er zog einen Lappen aus der Tasche, den er Sharifi reichte, und zeigte ihr, wie sie ihn sich in den Mund stecken sollte. Er ließ ihr Zeit dafür. Zeit, um darüber nachzudenken.
    Li verfolgte das grausame Schauspiel mit stockendem Atem. Sie spürte, dass Sharifis Puls sich verlangsamte. Sie spürte, wie ihre Haut feuchtkalt und dann trocken wurde. Sie spürte, dass sie den Blick nicht mehr von Voyt lösen konnte und jede seiner Regungen beobachtete, als sei er ein Geliebter, den sie unmöglich enttäuschen konnte, als ob ihr Weiterleben von seiner Zufriedenheit abhing.

    Auch auf Gilead hatte es einen Voyt gegeben. Viele Voyts. Li hatte versucht, nicht in der Nähe zu sein, wenn sie ihre Arbeit taten. Aber sie hatte die Informationen verwertet. Bei Gott, sie hatte an jedem blutigen Wort gehangen.
     
    Catherine?
    Die Scham krampfte Lis Herz zusammen. Später, Cohen. Du musst das nicht sehen.
    Das kann nicht warten, sagte er.
    Sie war so versunken in Sharifis Angst und Schmerz, dass sie ihn nicht sofort verstand.
    Das Geschoss hat das Feld-Array fast erreicht.
    Dann mussten sie hier raus. Bevor die KI starb – bevor sie im Bergwerk festhingen, abgeschnitten von Cohens Back-ups, abhängig von einem selbstkonstruierten Freetown-Netzwerk, das ohne die Rechenleistung der Feld-KI seine Systeme nicht unterstützen konnte.
    Ich kann dich rausbringen, sagte er und pflückte ihren Gedanken dabei so mühelos aus ihrem Hinterkopf, als habe sie ihn ausgesprochen. Und sie las genauso einfach seine unausgesprochenen Gedanken. Er konnte sie rausbringen. Aber nur sie.
    Dann bleiben wir eben und lassen es drauf ankommen, sagte sie ihm.
     
    Wieder in der Kristalldruse, ging der Tanz weiter.
    Voyt fesselte Sharifis Hände. Er sprach leise und vernünftig mit ihr. Er zog ein kleines Messer hervor und setzte es auf ihre Brust, an einer Stelle, wo sie es sehen konnte, wenn sie den Hals ein wenig verdrehte.
    Hinter Voyt war Bella ein schlanker, aufmerksamer Schatten. Sie trat vor, als Voyt an die Arbeit ging, und Li sah in ihrem Gesicht – in Haas’ Gesicht – die schuldbewusste Faszination, die die ersten Phasen eines gewaltsamen
Verhörs immer mit sich bringt, selbst bei Menschen, die an alltägliche Gewalt gewöhnt sind.
    Voyt ließ Sharifi warten, bis sie ihm antworten konnte. Sein Timing war so perfekt, so vorschriftsmäßig, dass Li jedes Stöhnen vorhersagen konnte, das er ignorieren, jedes Flehen, das er missverstehen würde. Gerade genug, dass sie, als er ihr schließlich den Knebel aus dem Mund zog und sie sprechen ließ, glauben konnte, es sei schon vorbei, wenn sie ihm jetzt alles sagte.
    Aber sie sagte nichts. Und als Li in ihrem Geist nach der Quelle ihrer Stärke suchte, fand sie etwas, das ihr den Magen umdrehte: die Hoffnung – nein, den tiefen, unerschütterlichen Glauben an ihre Rettung. Sharifi riskierte etwas, so wie sie es immer getan hatte. Sie setzte darauf, dass sie für Nguyen mehr wert war, wenn sie lebte. Sie setzte darauf, dass sie zu berühmt war, um so zu sterben. Sie setzte darauf, dass sie für Nguyen eine zu wichtige Schachfigur war, als dass sie geopfert werden konnte, ganz

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