Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lichtspur

Lichtspur

Titel: Lichtspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
Vom Netzwerk:
ist schlichtweg eine Verleumdung.«
    »Trotzdem«, beharrte der Reporter, »können Sie doch wohl nicht abstreiten, dass Ihr … Ihr Lebensstil die Anhörungen in dieser Sache überschattet hat.«
    »Mein Lebensstil?« Cohen schenkte den Kameras ein strahlendes Lächeln. »Ich bin so langweilig, wie es ein Binärboy nur sein kann. Fragen Sie mal meine Exfrauen und -männer.«
    Li rollte mit den Augen, hackte sich in die Bedienung der Displaywand und schaltete auf den Sportkanal um.
    »Wer immer das gemacht hat, dem gebe ich ein Bier aus!«, rief eine trunkene Stimme von einem der hinteren Tisch. Li ignorierte sie; sie verfolgte aufmerksam, wie der neue Superstar der Yankees einen tückischen Bogenwurf abfeuerte.
    »Bitteschön«, sagte der Koch und schob ihr über die zerkratzte Theke die Nudeln zu. Li drehte die Handfläche nach oben, als sie den Teller entgegennahm, und dabei zeigten sich an ihrem Handgelenk, wo die Keramstahlfäden ihres Leitungsnetzes knapp unter der Haut verliefen, einige silbergraue Streifen.

    »Sie sind also unser Sportfan«, sagte er. »Wie gefallen Ihnen die Yankees in der World Series?«
    »Nicht schlecht.« Li grinste. »Sie werden natürlich verlieren. Aber ich mag sie trotzdem.«
    Der Koch lachte, und die Narbe an seinem Kinn trat hell wie eine Neonröhre hervor. »Kommen Sie zum ersten Spiel doch noch mal her, und ich gebe Ihnen ein Essen aus. Ich will hier endlich mal einen Menschen haben, der kein Mets-Fan ist.«
    Li verließ die Nudelbar und ging weiter. Sie aß unterwegs. Die Straßen und Arkaden belebten sich langsam. Die Nachtschicht kam gerade aus dem Bergwerk zurück, und die Frühschichtarbeiter waren unterwegs zu den Shuttles, die sie auf den Planeten brachten. Die Bars waren alle geöffnet. In den meisten lief Spinvideo, aber in einigen gab es sogar um diese frühe Stunde Livemusik.
    Das kratzige Gewinsel einer schlecht verstärkten Geige ließ Li vor einer Bar innehalten. Eine Mädchenstimme übertönte die Geige, und plötzlich roch Li gebleichte, mit Desinfektionsmitteln behandelte Laken, die modrige Luft von Shantytown. Ein blasser Mann, der zugleich jung und alt aussah, lag in einem Krankenhausbett. Seine Haut schien mehrere Nummern zu groß für ihn. Am anderen Ende des Zimmers hielt ein Arzt eine sehr unscharfe Röntgenaufnahme hoch.
    Ein Fremder schob sich an Li vorbei, stieß sie zur Seite, und sie merkte, dass sie Tränen in den Augen hatte.
    »Essen Sie das noch?«, fragte jemand.
    Sie blickte auf und sah einen hageren alten Säufer, der ihre Nudeln mit rheumatischen Augen anstarrte.
    »Hier, nehmen Sie«, sagte sie und ging weiter.
     
    Sie hatte erwartet, dass um diese frühe Stunde in der Sicherheitszentrale nicht viel los war. Aber sie hätte es
besser wissen müssen. Die ABG-Orbitstation war eine Bergarbeiterstadt. Selbst um vier Uhr nachts – besonders um vier Uhr nachts – wurde hier getrunken, was das Zeug hielt.
    Durch Viruflex-Türen mit doppelten Scharnieren drang das gelbe Licht eines schäbigen Regierungsbüros auf die Straße. In großen Blockbuchstaben stand auf der Tür: ABG SICHERHEITSDIENST, EINE ABTEILUNG DER ANAKONDA-BERGBAUGESELLSCHAFT. Und darunter, in sehr viel kleineren Buchstaben: Organización de Naciónes Unidas 51PegB18.
    Das Vorderzimmer der Sicherheitszentrale diente zugleich als Hauptbüro und als Haftzelle. Ein hüfthoher Tresen teilte den Raum in der Mitte und hielt die Öffentlichkeit draußen oder die Sicherheitsbeamten drin, je nachdem, auf welcher Seite man stand. Jemand hatte die Wände nachlässig rosa gestrichen, was eher zu einem Schwesternwohnheim gepasst hätte und vermutlich dazu diente, Verhaftete etwas friedlicher zu stimmen. Es funktionierte, dachte Li; sie hätte mit ihrem schlimmsten Feind Frieden geschlossen, um diese Farbe nicht mehr ertragen zu müssen.
    An einer Wand hing eine Anzeigetafel der Friedenstruppen, auf der sich mehrere Jahrgänge von Stationsdirektiven, Sicherheitshinweisen und Steckbriefen angesammelt hatten. Die Bank darunter bog sich unter der nächtlichen Ausbeute an Junkies und Prostituierten ohne Lizenz. In der ganzen Sicherheitszentrale herrschte eine resignierte Atmosphäre. Selbst die Kriminellen auf den Fahndungsplakaten wirkten so beschränkt, dass man ihnen nicht zutraute, etwas Wertvolles gestohlen oder jemanden von Bedeutung umgebracht zu haben.
    Als Li eintraf, hatte der diensthabende Unteroffizier ein Auge auf seine Kunden und eins auf den Spinvideo-Monitor
vor ihm gerichtet, wo

Weitere Kostenlose Bücher