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Lichtspur

Lichtspur

Titel: Lichtspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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trostlosen Schaufenstern, billigen VR-Schildern, Bars, Fastfood-Buden. Sie duckte sich durch einen niedrigen Durchgang, über dem ein Schild mit der Aufschrift Nudelbar Tag & Nacht stand; es sah nicht sehr vielversprechend aus, aber es war voll hier und roch besser als in den meisten anderen Lokalen.

    »Was wollen Sie?«, fragte die Frau hinter der Theke.
    »Was haben Sie denn?«
    »Echte Eier. Nicht billig, aber sie sind’s wert.«
    Li sah auf die Speisekarte über der Theke. Holos von Nudeln mit vegetarischem Shrimpersatz; Holos von Nudeln mit vegetarischem Schweinefleischersatz; Holos von Nudeln mit algenbasierten Proteinen in jeder Form und Geschmacksrichtung. Jemand hatte unter dem Holo mit den Nudeln und Rühreiern ein handgeschriebenes Schild angebracht, das auf eine Preiserhöhung auf zwölf UN-Dollar aufmerksam machte.
    »He«, sagte die Frau. »Wenn Sie nicht wollen, dann nehmen Sie was anderes. Aber entscheiden Sie sich. Hinter Ihnen stehen noch andere in der Schlange.«
    »Dann mit Eiern«, sagte Li und streckte der Kassiererin die linke Hand hin, um die Zahlung abzuwickeln.
    »Sie wollten Eier?«, fragte der Koch, als sie an der Theke zu ihm vorrückte.
    »Ich habe seit Jahren keine echten Eier mehr gegessen«, sagte Li.
    »Mein Bruder hat ein paar Hühner. Er schickt die Eier aus Shantytown mit dem Bergwerksshuttle hoch. Letztes Jahr hat er uns einmal ein komplettes Huhn geschickt. Wir haben’s natürlich nicht verkauft.« Er grinste, und Li sah auf seiner Kinnspitze die lange, indigoblaue Linie einer Kohlenarbe. »Ich habe das Vieh auf einen Rutsch vertilgt.«
    Auf der Displaywand des Ladens lief Spinvideo. NowNet. Tagespolitik. Als Li sich der Wand zuwandte, sah sie Cohens Gesicht ausblitzen, überlebensgroß und in voller Schönheit. Er stand auf der Marmortreppe des Generalrats, fein herausgeputzt in einem dunklen Anzug mit gestreifter Krawatte. Eine Meute aufgekratzter Journalisten bestürmte ihn mit Fragen über die jüngste Resolution in Sachen Wahlrecht für KIs.

    »Es geht nicht um Sonderrechte für Emergente«, beantwortete er gerade eine Frage, die Li nicht gehört hatte. »Es geht einfach um ein Mindestmaß an Achtung für die Rechte aller Personen, ob sie nun auf Codes oder Gensets basieren. Die Befürworter eines begrenzten Wahlrechts hätten gern beides auf einmal. Alle Schweine sind gleich, laut unserer Gegner – aber einige Schweine sind eben etwas gleicher als die anderen. Es ist ein Schritt weg von der Gleichberechtigung, nicht darauf zu.«
    Zurzeit benutzte er Roland als Interface, einen goldhaarigen, goldäugigen Jungen, der ohne den kupferfarbenen Schatten auf der Oberlippe auch als Mädchen durchgegangen wäre. Li hatte den Burschen einmal kennengelernt, als er an einem freien Tag bei Cohen aufgetaucht war. Sie hatten eine recht surreale Kaffeestunde miteinander verbracht. Bei Buttergebäck mit Devonshire-Sahne hatte er ihr in ernstem Ton erklärt, dass er das Geld, das er bei Cohen verdiente, in eine medizinische Ausbildung steckte.
    Die Frau, die an Cohens – oder besser Rolands – Arm hing, wäre auch ohne die Highheels größer gewesen als er. Li kannte ihr Gesicht von den Modekanälen, aber sie konnte nicht erkennen, ob die sorgfältig geschminkten Gesichtszüge künstlich oder natürlich waren.
    »Sie treten also für ein allgemeines Wahlrecht ein? Eine Stimme für jeden?«, hängte sich ein Reporter an Cohens letzte Äußerung. »Das würde die gesetzlichen Regelungen für genetische Konstrukte weiter aufweichen.«
    Cohen lachte und hob eine Hand, um die Frage abzuwehren. »Das ist nicht mein Thema«, sagte er. »Ich würde mich niemals in das Gezänk von Primaten einmischen. «
    »Und was würden Sie jenen antworten, die behaupten, dass Ihre eigenen Verbindungen mit dem Konsortium
negative Auswirkungen auf den Kampf der KIs für ihr Wahlrecht hatten?«, fragte ein anderer Reporter.
    Cohen wandte sich langsam dem Mann zu, als könne er nicht recht glauben, was Rolands Ohren gehört hatten. Li fragte sich, ob der Reporter die kurze Pause bemerkte, bevor Cohen lächelte, ob er sich über das wilde Temperament im Klaren war, das sich hinter dieser heiteren, unmenschlichen Ruhe verbarg.
    »Es gibt keine Verbindungen zum Konsortium«, sagte Cohen kühl, »und jeder Versuch unserer Gegner, einen Geschäftskontakt zur Emanzipationsbewegung für Künstliches Leben als dem politischen Arm des Konsortiums oder zu irgendeiner der KIs herzustellen, die in dessen Diensten stehen,

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