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Lichtspur

Lichtspur

Titel: Lichtspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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Freetown-Konto bezahlt worden. Und zwanzig Stunden bevor Sharifi eincheckte, erhielt die Klinik eine verpfändete und versicherte Lieferung medizinischen Materials von einer Firma namens Carpe Diem, einem obskuren Provider, der in den Kolonien Netzwerkzugänge anbot und vorher noch nie eine Lieferung in die Zona Camilia geschickt hatte und auch seitdem nicht mehr.
    Carpe Diem stellte sich als ein seriöses, wenn auch nicht sonderlich erfolgreiches Unternehmen heraus, das einen beachtlichen Marktanteil der zivilen Stromraum-Zugänge in den Metaorbits von Lalande 21185 behauptete. Li durchdrang schnell die Sicherheitsabschirmung und durchsuchte die interne Betriebsdatenbank. Sie fand genau das, was sie dort erwartet hatte: Gehaltslisten, Zahlungsbelege, interne Firmendokumente und eine recht lebhafte, inoffizielle E-Mail-Diskussion, in der es darum ging, ob Carpe
Diems 479 interne und externe Mitarbeiter tatsächlich existierten.
    Aber als Li sich in die Buchhaltung hackte, kam sie zu einem ganz anderen Ergebnis. Über Carpe Diem floss genug Geld, um einen kleinen, aber technisch ausgefeilten Krieg zu führen. Es wurden regelmäßig größere Zahlungen geleistet, darunter auch an die Stellen, die Sharifis Inventar finanziert hatten. Und für jede ausgehende Zahlung verzeichneten die Konten einen Eingang in entsprechender Höhe.
    Wer immer die Zahlungen tätigte, hatte seine Spuren gründlich verwischt. Die Ein- und Ausgänge hielten sich weitgehend die Waage, doch es konnten zwei Tage bis zwei Monate vergehen, ehe ein Zahlungseingang durch einen entsprechenden Ausgang wieder ausgeglichen wurde. Es wäre äußerst schwierig, hier eine Verbindung nachzuweisen.
    Aber Li brauchte keine Beweise. Sie brauchte nur eine Fährte, deren Witterung sie aufnehmen konnte.
    Sie verfolgte das Geld durch zwei Konkurse, fünf anonyme Holding-Gesellschaften und eine Kette von Nummernkonten zurück, die sich über acht Sternsysteme verteilten.
    Ganz plötzlich spürte sie die Gegenwart von etwas anderem, so als ob ein großer Vogel über ihr am Himmel kreiste und sich immer weiter emporschraubte, die Strömungen des Cyberspce unter seinen gezahnten Flügeln. Etwas strich am Rande ihres Bewusstseins vorbei. Eine hellblaue Unendlichkeit aus offenen Räumen blitzte vor ihren inneren Augen auf und war verschwunden, noch bevor sie ganz begriff, was sie da gesehen hatte.
    , dachte sie, unterdrückte den Gedanken aber schnell wieder. Sie arbeitete im Binärmodus, tief in die Zahlen versunken, so weit über das Netz ausgebreitet, wie
es ein organischer Benutzer überhaupt riskieren konnte. Sie wusste, dass ein bloßer Gedanke Cohen so unwiderstehlich anlocken konnte wie Blut einen kreisenden Hai. Und sie wollte im Moment nichts mit ihm zu tun haben. Sie war noch lange nicht so weit, mit ihm zu reden.
    Die Geldspur verlor sich im stark abgeschirmten Datenkern eines dubiosen Kontos in Freetowns Finanzsektor. Li startete ihre Alias-Tarnung neu und stieß ins FreeNet vor, bevor sie es sich anders überlegen konnte.
    FreeNet war älter und anarchischer als der übrige Stromraum, unabhängig vom UN-Grid, unbehelligt von den Sicherheitsprotokollen der legalen Marktsektoren; das virtuelle Heimatland der Schwarzmarkthändler, Entführer, Infoanarchisten und der tückischen KIs des Konsortiums.
    Lis Alias-Tarnung bot sogar hier einen gewissen Schutz; wenn ihre Vitaldaten zu drastische Sprünge machten, würde sie Li sofort hinter der Firewall eines Dekompressionsprogramms in Sicherheit bringen, wo sie ausloggen konnte. Aber das schützte nur vor direkten Netz-Attentaten. Ein Alias konnte nichts gegen Wet-Bugs ausrichten. Li erinnerte sich an Kolodny und schauderte.
    Sie verbrachte den halben Tag im FreeNet, ließ sich vom Strom umhertreiben, bis ihr Rücken schmerzte und ihre Augen brannten. Alles, was sie fand, waren Firewalls, Einbahnstraßen, Sackgassen. Sie fluchte, und die Erschöpfung machte ihr zu schaffen. Hier würde sie keine Antworten finden. Nur eine Schachtel in der anderen, nur Fragen, die zu weiteren Fragen führten.
    Ihr gesunder Menschenverstand und ihr Selbsterhaltungstrieb rieten ihr, die Suche aufzugeben. Das Motto der FreeNeter lautete zwar »Informationen suchen ihre eigene Freiheit«, aber in der Praxis war FreeNet eher dafür geeignet, Daten zu verstecken, als Daten zugänglich zu machen. Und so wie auf den Straßen des realen Freetown
riskierte man hier seinen Hals, wenn man zu viele Fragen stellte. Oder wenn man Fragen

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