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Lichtspur

Lichtspur

Titel: Lichtspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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sie in eine Schreibtischschublade und holte ein Wetware-Kästchen hervor. Dann drückte er den Kopf der Hexe zur Seite, steckte einen Stecker in einen unsichtbaren Sockel, dann verband er den Hautkontakt am anderen Ende des Kabels mit seiner eigenen Stirn und führte das Kabel durch die VR-Kits seines Schreibtischs.

    Von dem, was als Nächstes geschah, hatte Li zwar schon einmal gelesen, es aber noch nie mit eigenen Augen gesehen: eine Overlay-Schleife, eine Perversion der Technologie, die jeder Konzern im UN-Raum für Overlay-Trainings verwendete. Overlay-Schleifen waren illegal; sie waren verboten worden, nachdem dieses Mädchen in Freetown verblutet war. Aber die psychiatrischen Stationen in jedem Raumhafen waren immer noch voller Prostituierter, die sich bei Overlay-Schleifen die Neuronen ausgebrannt oder sich selbst verstümmelt hatten oder einfach verrückt geworden waren.
    Li schaltete die Übertragung aus, wurde aber das Bild nicht los, das sich ihr eingebrannt hatte. Haas’ Hände auf dieser weißen Haut. Die Hexe quer über dem Schreibtisch, ihr Haar auf dem leuchtenden Kondensat ausgebreitet, ihr Körper in rhythmischer Bewegung, aber ihre Augen so leer wie der schwarze Abgrund hinter den Sichtluken.
    Li rollte sich herum und ließ sich vom Schlaf übermannen.
    Sie hatte eine Menge vor sich.

ABG-Station: 14.10.48.
    A ls sie sich am nächsten Morgen zu ihrer Displaywand umdrehte, wurde in den Nachrichten gerade Sharifis Tod bekannt gegeben.
    Selbst für NowNet kam es offenbar völlig überraschend. Die Redaktion legte sich für das Ereignis mächtig ins Zeug, unter anderem indem sie Kollegen, Studenten und ferne Verwandte zu Wort kommen ließ. Aber sie verwendeten nur Archivmaterial, altes Zeug. Es war, als sei Sharifi aus
ihrem Radar verschwunden. Ein Zufall? Oder ein Hinweis darauf, dass Sharifi in den letzten Jahren guten Grund gehabt hatte, sich rar zu machen?
    Bislang hielt die Presse noch an der Version eines bedauerlichen, aber unvermeidlichen Unfalls fest – obwohl sich Li unwillkürlich fragte, wie viel davon der Wahrheit entsprach, und wie viel davon auf ein geschicktes Manövrieren von Nguyens Pressesprechern zurückging.
    Für ihre Arbeit machte es keinen nennenswerten Unterschied. Zurzeit jedenfalls nicht. Höchstens dann, wenn sie Mist baute und es zuließ, dass der Presse ein Stück des Puzzles in die Hände fiel, bevor sie und Nguyen Zeit hatten, die Sache auszuloten, einzuschätzen und den Schaden einzudämmen. Im Moment hatte Li noch genauso wenige Anhaltspunkte wie gestern Abend, als sie sich schlafen gelegt hatte.
    Ein Tod. Ein Feuer. Ein fehlender Datensatz. Ein Stück Wetware in Sharifis Quartier, dessen Vorhandensein alles oder nichts bedeuten konnte.
    Li führte ihre Suche von ihrem eigenen Quartier aus durch. Hier hatte sie zumindest etwas Privatsphäre, außerdem war ihr nicht wohl bei dem Gedanken, dass sie aus einer langen Stromraum-Session zu sich kommen und sich zusammengesunken über ihrem Schreibtisch oder auf dem Sofa im Bereitschaftsraum wiederfinden könnte.
    Sie überlegte, ob sie McCuen einweihen sollte. Am Ende entschied sie sich dagegen; sie war noch nicht so weit, um ihm von der Wetware zu berichten. Ein Mann ohne Implantate, der alle Geräte per Tastatur bedienen musste, würde sie ohnehin zu sehr aufhalten und für den Sicherheitsdienst des Konzerns eine zu offensichtliche Spur hinterlassen. Und sie wollte in Bereiche vordringen, wo unerwünschte Aufmerksamkeit gefährlich werden konnte.

    Die Techniker hatten vor dem Einsatz auf Metz ihr Interface aktualisiert, deshalb machte sie einige Übungen zum Lockermachen, ehe sie ernsthaft mit der Suche begann. Bis zu ihrer Rekrutierung hatte sie keine Erfahrungen mit dem Stromraum gehabt. Aber als Soldatin hatte sie eine entsprechende Ausbildung genossen, war mit Implantaten versehen worden und hatte Zugriff auf den Stromraum erhalten. Im Laufe des letzten Jahrzehnts hatte sie den Spinstrom auf eine Weise zu meistern gelernt, die sich nur ein geringer Bruchteil der Menschheit überhaupt vorstellen konnte. Zum Teil war es eine Frage des Talents, einer gewissen Neigung, Codes zu lesen, so wie normale Menschen Wörter und Absätze lasen. Den Rest verdankte sie einem Spinnennetz aus militärischer Wetware, das sämtliche Synapsen in ihrem Körper miteinander verknüpfte und ihr halbes Denken – ihr halbes Ich – in eine künstliche Hardware verlagert hatte.
    Li nutzte jedes Upgrade, jedes Implantat, jedes Stück

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