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Lichtspur

Lichtspur

Titel: Lichtspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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Stein war vor dem Embargo per Magnetantrieb über den Raumhafen Charles de Gaulle hierherbefördert worden. Die Eingangstüren waren doppelt so hoch wie Li, und als sie einen Fuß auf die oberste Stufe setzte, öffneten die Flügel sich geräuschlos und ließen einen Hauch kühler, parfümierter Luft austreten.
    Sie trat in einen langen marmorgefliesten Flur, an dessen Wänden Ölgemälde hingen, die sogar sie erkannte. Ein Wachmann trat ihr in den Weg, und sie hob die Arme über den Kopf, um sich durchsuchen zu lassen.
    Er filzte sie professionell und nüchtern. Und er fand alles – was für sich genommen schon bemerkenswert war. Ihre Viper aus der Truppenausrüstung. Ihre Beretta. Ein Schmetterlingsmesser aus einer keramischen Legierung, das sie im Krieg einem Syndikatssoldaten abgenommen hatte. Und schließlich das blaue Kästchen, das sie für den Fall mitgenommen hatte, dass ihr der Hijacker noch einmal über den Weg lief.
    Der Wachmann gab ihr die Pistolen und das Messer wieder zurück. Sie zeigten sich nur deshalb im Stromraum, weil Li sie an ihrem inaktiven Körper auf der ABG-Station trug; die Gesundheits- und Sicherheitsprotokolle und Cohens eigener privater Sicherheitsdienst machten sie nutzlos. Das blaue Kästchen behielt der Wachmann allerdings. Eine solche Waffe ließ kein Emergent, der sich einen fähigen Leibwächter leisten konnte, in seine Nähe kommen.
    Er hatte sie ohne eine erkennbare Regung im Gesicht durchsucht, bis auf einen Anflug von Bewunderung für ihr Schmetterlingsmesser. Als er fertig war, entspannte er
sich merklich und grinste. »Hallo, Major. Freut mich, dich zu sehen.«
    »Mich auch, Momo.« Li streckte die Hand aus, und sie führten ein albernes Geheimritual durch, mit dem Infanteristen sich begrüßten. »Wo ist Jimmy?«
    »In Urlaub.« Momo zuckte die Achseln. »Fauler Hund.«
    »Na ja. Sag ihm, dass ich gefragt habe. Ist Cohen wieder da?«
    »Du kennst doch den Weg.«
    Cohen wartete in seinem Arbeitszimmer, einem sonnenhellen Raum, der mit kunstvoll gerahmten Porträts der Ahnen von irgendwem dekoriert waren. Verglaste Türen gingen auf einen ummauerten Garten hinaus. Antiquitäten erfüllten die Luft mit dem Geruch von altem Hartholz und Möbelpolitur mit Bienenwachs.
    Das ganze Zimmer lebte und atmete. Es hing ein feiner, duftender Staub in der Luft: Wolle von den persischen Teppichen, Farbkrümel von den alten Gemälden, Gänsefedern und Pferdehaar von den Polstermöbeln. Außerdem sonderte das Gebäude selbst Holzpartikel, Verputz, kühlen und trockenen Kalksteinstaub ab. Es verströmte eine Aura wie ein lebendiges Wesen, die einem unter die Haut drang, wie Cohen selbst, reizvoll, berauschend, bis man nicht mehr sagen konnte, wo sie anfing und man selbst aufhörte.
    Er saß auf einem niedrigen Sofa in der Nähe einer der offenen Türen und hielt ein Buch in der Hand, ein altes Hardcover mit rissigem Rücken, von dem die goldgeprägten Buchstaben abblätterten. Er benutzte heute Roland als Overlay-Medium und trug einen Sommeranzug von der Farbe des frischgemähten Heus auf George Stubbs Gemälde Eclipse , das hinter ihm an der Wand hing. Die Nachmittagssonne fing sich in wirbelnden Staubpartikeln, blitzte in Rolands goldenen Augen und tauchte die ganze Szene in warme, erdige Farben.

    »Catherine«, sagte er. Er sprang hoch, küsste sie auf die Wange, nahm ihre Hand und zog sie neben sich aufs Sofa. »Bist du wieder auf Compsons Planet? Wie schlimm ist es?«
    Sie zog ein Gesicht. Er hatte ihre Hand nicht losgelassen, und es war jetzt zu spät, um sie zurückzuziehen, ohne den Eindruck zu erwecken, dass sie damit etwas Bestimmtes ausdrücken wollte. Seine Finger auf ihrer Haut fühlten sich heiß und trocken und sauber an – vielleicht war auch nur ihre eigene Hand feucht.
    »Ich muss sagen, ich war überrascht, dass du den Auftrag angenommen hast.«
    »Ich hatte nicht unbedingt eine Wahl.«
    »Doch.« Er lächelte breiter. »Helen ist ein echtes Genie in derartigen Dingen. Ich kann mir kaum vorstellen, wie sie es dir schmackhaft gemacht hat. Sie muss dir einen Rettungsring zugeworfen haben, nachdem sie deine Karriere torpediert hat.«
    Li kniff die Augen zusammen. »Woher weißt du, dass Nguyen damit zu tun hatte?«
    »Ach, du weißt doch, was für ein neugieriger kleiner Bursche ich bin. Weintrauben?« Er hielt ihr eine flache Schale mit einigen graugrünen Trauben hin.
    Sie löste ihre Hand aus seiner, zupfte eine Traube vom Stängel, steckte sie sich in den Mund und

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