Lichtzeit - Gibson, G: Lichtzeit - Nova War
sich zu ihrem Bruder um, der immer noch neben ihr stand, und zielte nun mit der Schweißpistole auf ihn.
Im nächsten Moment blitzte ein grelles Licht auf, das Dakota vorübergehend blendete. Vor Schreck stand sie wie erstarrt da, während Lins Schreie in ihren Ohren gellten. Sie hielt sich die Hände vor die Augen und wartete darauf, dass ihre Sicht zurückkehrte. Als sie wieder sehen konnte, lag Lin auf der Seite am Boden und hechelte wie ein kranker Hund, mit beiden Händen seinen Schenkel umklammernd. Der Gestank von verschmortem Fleisch überdeckte den dezenteren Duft des Weihrauchs. Dakota bemerkte, dass ein Teil des Hosenbeins weggebrannt war; bei dem Anblick des schwarz verkohlten Muskels und des freigelegten Knochens drehte sich ihr der Magen um. Mit seinen grünen Schlitzaugen glich der verletzte Lin mehr einem gequälten Tier als einem menschlichen Wesen. Dakota schaute zur Seite.
Yi war aufgestanden, und ihr Gesicht war eine vor unbändiger Wut verzerrte Fratze. Dakota rührte sich nicht von der Stelle.
»Scheiße! Ich hatte dir doch ausdrücklich gesagt, dass ich das Reden übernehme, oder nicht?«, geiferte Yi. »Aber du musstest ja diese verdammten Sporen rauchen, du elendes, nutzloses Miststück! Das ist alles dein Fehler!«
Sie wandte sich wieder Dakota zu und schnatterte ohne Punkt und Komma weiter. »Diese Missgeburt hier kam auf den glorreichen Gedanken, in eine Kaperoperation zu investieren, bei der eine Fracht gestohlen wurde, die in irgendeinen Bandati-Hive geschmuggelt werden sollte. Aber auf die Piraten warteten ein paar ziemlich unangenehme Überraschungen, unter anderem als sie merkten, dass sie sich plötzlich im Besitz von verbotener Technologie befanden. Dieses Zeug luden sie dann hier ab, als ihnen
klarwurde, dass die Bandati es sich auf Biegen und Brechen zurückholen wollten.« Sie hielt kurz inne, um Atem zu schöpfen. »Leider konnte mein lieber Bruder seinen Mund nicht halten, so dass die Geschichte rauskam – und jetzt suchen die Bandati nach uns.«
»Und just in dem Augenblick, als Sie beide nach einer Möglichkeit forschten, die Stadt zu verlassen, bin ich hier aufgetaucht?«, versetzte Dakota steif.
»Verdammt! Jetzt stecken Sie genauso tief in der Scheiße wie wir, ein Grund mehr für Sie, mir zu helfen, von hier zu verschwinden.« Sie deutete auf einen der Wandbehänge. »Dahinter befindet sich noch eine Tür. Gehen Sie hin und machen Sie sie auf.«
Dakota trat an den Wandbehang, zog ihn zurück und enthüllte eine Druckausgleichstür. Lin lag immer noch wimmernd und fluchend am Boden, die Haut blass und mit einem feinen Schweißfilm bedeckt. Yi wirbelte herum und riss den Wandbehang herunter. Dakota drehte an dem an der Tür befestigten Rad, während sie das beständige Fauchen der Schweißpistole hörte, deren Düse nur Millimeter von ihrem Rückgrat entfernt war.
Mit einem Zischen öffnete sich die Tür, und Yi bedeutete ihr, hindurchzutreten. Dakota gelangte auf eine breite Metallplattform, die sich an der Wand einer offenen Eindockbucht entlangzog. Überspannt wurde die Anlage von einem gewölbten Metalldach, an das Gerüste montiert waren, die während der Zeit, als der Orbitalhafen noch vom Militär genutzt wurde, Fluchtkapseln beherbergt hatten. Dahinter und unterhalb der Plattform erstreckte sich nur noch das harte Vakuum.
Mehrere Tausend Kilometer entfernt rollte die staubverhangene, gelbgrüne Oberfläche von Fullstop langsam aus ihrem Gesichtskreis, während der Hafen um seine eigene Achse rotierte. Die Eindockbucht wurde durch Kraftfelder vom Vakuum abgeschirmt,
und obwohl Dakota sich schon in vielen solcher Buchten aufgehalten hatte, verspürte sie bei Ausblicken wie diesen jedes Mal aufs Neue ein mulmiges Gefühl im Magen.
Sie sah, dass in einigen der Gerüste unterschiedliche Boden-Orbit-Shuttles parkten. Ein Stück weiter an der Plattform, auf der sie standen, entdeckte sie noch mehr Türen wie die, durch die sie gerade getreten waren. Sie fragte sich, ob ein paar von ihnen unverriegelt waren, und ob Yi damit rechnete, dass sie versuchen würde, durch eine zu entkommen.
Tief durchatmend drehte sie sich um und betrachtete die hinter ihr befindliche Tür. Sie trug ein Schild mit der Aufschrift: NUR FÜR BEFUGTES PERSONAL: ZUGANG ZU NOTFALL-LEBENSERHALTUNGS- UND WARTUNGSSYS-TEMEN.
»Es kostet ein kleines Vermögen, damit der Hafenmanager beide Augen zudrückt«, erklärte Yi unnötigerweise. »Und es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis wir den ganzen
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