Liebe am Don
Großen hoffen?
Aber dann wandte er sich doch ab, folgte dem kleinen krausköpfigen Boy zum Fahrstuhl und stieg in die blitzende Kabine. Noch einmal hob er die Hand und winkte Jelena zu. Sie stand unbeweglich inmitten der vielen hin und her rennenden Menschen, mit hängenden Armen und traurigen Augen.
»Jelena –« wollte Bodmar rufen. »Was wir machen, ist doch Blödsinn. Wir gehen auseinander und fühlen, daß wir zueinander müßten! Jelena, warte doch …« Aber es war schon zu spät … die Tür schnurrte zu, der Lift setzte sich in Bewegung und schwebte lautlos und schnell in das 23. Stockwerk.
Jelena Antonowna starrte dem Schatten des Aufzugs nach, der sich hinter der Glaswand abzeichnete und dann verschwand. Ihr Gesicht war erfüllt von einer spröden Zärtlichkeit, vom Widerschein eines Kampfes, der wild in ihrem Innern tobte und ihr Herz in eine brennende Kugel verwandelte.
»Ich könnte dich erschlagen«, dachte sie und ballte die Fäuste, drückte sie an ihre Hüften und preßte die Lippen zusammen. »Den Schädel könnte ich dir zertrümmern, du blonder Satan! Ich weiß nicht mehr, wer ich bin … und das ist deine Schuld. Hätte ich dich doch nie gesehen, du deutscher Hund!«
Sie drehte sich so schnell um, daß sie gegen einen Inder stieß, der hinter ihr vorbeiging und sich höflich entschuldigte, obgleich er der Angerempelte war. Dann lief sie zu der Ladenstraße im Hintergrund der Hotelhalle und betrachtete mit schiefem Kopf die Auslagen eines Kiosks mit kosmetischen Artikeln. Die Verkäuferin beugte sich über den Ladentisch.
»Was darf ich Ihnen zeigen, Genossin?«
»Einen Lippenstift –« sagte Jelena mit fester Stimme. »Ein zartes Rot, Genossin … nicht so aufdringlich wie die westlichen Weiber. Dezent verstehen Sie?«
»Selbstverständlich. Wir haben die besten Lippenstifte aus Paris. Wenn Sie unsere Auswahl durchsehen möchten Genossin …«
»Ja.« Jelenas Blick glitt über die lange Reihe der Probestifte. Rot vom Cyclamen bis zum hellsten Rosa, vom blassen Hauch bis zum kräftigen Orange. Sie blickte in den Spiegel, den ihr die Verkäuferin hinrückte, und betrachtete ihr Gesicht mit kalter weiblicher Kritik.
Die Augenbrauen. Dunkel, fast schwarz, aber zu dick.
»Gibt es einen Apparat, mit dem man die Brauen zupfen kann?« fragte sie.
»Auch das, Genossin.«
»Ich nehme ihn … und diesen Lippenstift.« Sie tippte auf ein Rosa, zart wie eine Apfelblüte, bezahlte einen verrückt hohen Preis für so viel westliche Dekadenz und verließ dann schnell die Hotelhalle.
Es war, als flüchte sie von dem Ort einer Niederlage.
Z WEITES K APITEL
Auch in Rußland geschehen Morde.
Sogar in internationalen Luxushotels wie dem ›Ukraina‹.
Man soll es nicht für möglich halten, aber irgend jemand war in der Nacht in das Zimmer 688 geraten und hatte dem Inhaber des breiten Bettes, dem Diplomingenieur Russian Dementijewitsch Gorlowka, den Schädel eingeschlagen. Es war ein unästhetischer Mord, das Bett war voller Blut, der dicke Teppich aus Astrachan war beschmutzt, und der Tote lag nackt in einer Blutlache, hatte sein Gehirn bis an die schweren Plüschvorhänge gespritzt und sah so entsetzlich aus, daß der Polizeiinspektor laut verkündete: »Hier muß ein Vieh am Werk gewesen sein!«
Das Zimmermädchen entdeckte den Mord, als es das Frühstück bringen wollte. Russian Dementijewitsch hatte bei der Etagenbeschließerin am Abend vorher sein Morgenmahl für acht Uhr bestellt. Ein Beweis, daß er da also noch lebte und mit einem frühen Appetit rechnete. Nadja Fillipowna, ein Mädchen aus Kiew, das an diesem Morgen den Kaffeedienst auf der Etage versah, klopfte an die Tür von Zimmer 688, hörte keine Antwort und betrat zunächst den Vorraum, einen Salon.
»Genosse, Ihr Kaffee!« rief sie, und da Russian Dementijewitsch anscheinend einen tiefen Schlaf hatte, der Kaffee aber nicht kalt werden sollte, betrat Nadja den Schlafraum. Hinterher erinnerte sie sich nur noch daran, daß sie gellend geschrien hatte. Dann fiel sie ohnmächtig um, bevor die Beschließerin Ustenjka ins Zimmer stürzte und über die liegende Nadja stolperte.
In dem riesigen Palastbau des Hotels merkte kaum jemand, was im 23. Stockwerk geschehen war. Nur die Bewohner der Appartements 680 bis 695 wurden abgesondert, durften ihre Zimmer nicht verlassen und erhielten durch höfliche Pagen den Bescheid, sie sollten sich für ein Verhör durch die Polizei bereithalten. Auch bei Eberhard Bodmar erschien ein
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