Liebe am Don
Gospodin Bodmar.«
Bodmar nickte mehrmals. Er hatte Tumow nicht unterbrochen. Menschen, die gern sprechen, soll man reden lassen; man macht sie dadurch sanfter. Jetzt aber, da Tumow Luft holen mußte, lehnte er sich zurück. Bisher war die Unterhaltung in einem holprigen Deutsch erfolgt. Nun antwortete Bodmar auf russisch, was allgemeines Verwundern erzeugte. Der Polizeiinspektor schnaufte hörbar durch die Nase, der Subdirektor des Hotels raschelte mit den Händen, die Ustenjka, ein braves Weib ohne Fehl und Tadel, ließ vor Erstaunen die Etagenliste fallen.
Bodmar sagte: »Ich danke Ihnen, Genossen, daß Sie mich in einen solchen Fall einweihen. Mord, nehme ich an. Aber ich bin in die Sowjetunion gekommen, um über andere Dinge zu schreiben. Morde gibt es auch bei uns genug … selbst Männer mit aufgeschlagenem Schädel.«
Boris Grigorjewitsch Tumow zerfloß in Freundlichkeit. »Sie beherrschen unsere Sprache, Gospodin Bodmar?« fragte er. Der Unterton in seiner Stimme warnte. Bodmar erkannte ihn und bereitete sich auf einen heißen Morgen vor. Sie glauben doch wohl nicht etwa, ich hätte den Mann dort auf dem Bett umgebracht, dachte er. So dumm kann doch niemand denken.
»Beherrschen möchte ich nicht sagen.« Bodmar schlug die Beine übereinander, was bei Tumow eine steile Falte zwischen den Augen erzeugte. Verhörte haben sich anständig zu benehmen, dazu gehört auch eine vernünftige Sitzhaltung. Gerade, aufgerichtet, den Kopf hoch, die Hände auf den Knien. Das Übereinanderschlagen der Beine dagegen ist eine Provokation. Tumow zwang sich, in Anbetracht der politischen Lage der vorliegenden Situation nicht gleich die Zündschnur an das Dynamit zu legen.
»Ich habe einen Kursus in Russisch mitgemacht«, fuhr Bodmar fort. »Eine verflucht schwere Sprache.«
»Deutsch ist schwerer«, antwortete Tumow hart.
»Da bin ich Ihrer Meinung. Selbst in Deutschland können die wenigsten Deutschen Deutsch. Da gibt es zum Beispiel gewisse moderne Literaten, die eine Sprache schreiben, die man nur als ›Beobachtungen aus der Säuglingswindel‹ bezeichnen kann –«
»Schluß jetzt mit der Konversation!« Tumow schob beide Hände in das lederne Koppel seiner Uniform. »Kommen wir zur Sache.«
»Ich bitte sehr darum.« Bodmar blickte kurz auf seine Armbanduhr. In einer halben Stunde sollte die Reise in die Vergangenheit beginnen. Zunächst nach Tula, auf der breiten Rollbahn, dann weiter nach Orel und Kursk, wo er schon mitten in den früheren Aufmarschgebieten der deutschen Armeen sein würde. Hier war jeder Meter Boden mit Blut getränkt. Hier waren die großen Panzerschlachten geschlagen worden; hier gab es einmal die berühmten ›Brückenköpfe‹ über die Oka und den Seim, eine Handvoll Männer, die sich als Vortrupp auf der anderen Seite der Flüsse in die Erde krallten und mit ihren Körpern so lange einen Wall bildeten, bis die anderen Kompanien übergesetzt hatten und die neue Frontlinie gebildet werden konnte.
Damals nannte man das Heldentum, dekorierte die Hälse der Kommandanten mit Ritterkreuzen, die Brüste der Landser mit EKs, und die Toten begrub man mit Sprüchen wie: »Du starbst, aber Deutschland wird leben!« Oder: »Deutschland wird dich nie vergessen!« Auch den Verwundeten sagte man das, den Krüppeln, Amputierten, Blindgeschossenen, Hirnverletzten und Verblödeten. Die Dankbarkeit des Vaterlandes spürten sie dann Jahre später, wenn die Rentenbescheide ins Haus flatterten und der Verlust eines Armes, eines Beines oder eines Auges bewertet wurde wie der Riß in einer alten Hose.
Betrug das alles. Heuchelei. Gemeinster Hohn. Verrat an den jungen Menschen, die man damals in die Weite Rußlands trieb und die marschierten und marschierten, vom Finnischen Meerbusen bis zum Schwarzen Meer, von Leningrad bis zum Kaukasus, eine Millionenherde Hammel für die aus der Tiefe der Taiga heranstürmenden hungrigen Wölfe.
Gen Osten woll'n wir reiten … seit Jahrhunderten spukt das in den deutschen Hirnen. Und sie sind geritten, die Deutschen, immer und immer wieder. Wie die Mücken, die zum Licht flattern und dort verbrennen, aber ständig wiederkommen, nie etwas lernen, über die Leichen ihrer Vorgänger wegsteigen und auch in der Flamme umkommen. Die Geschichte war für sie kein Lehrbuch, der Weg in den Osten saß in ihnen wie eine erbliche Krankheit. Und so stürmten sie mit Hurra in die riesigen Wälder und Sümpfe, über die Steppen und Tundren – und kamen als Wracks zurück, ausgelaugt,
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