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Liebe am Don

Liebe am Don

Titel: Liebe am Don Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Asthma habe ich. Oh, ich werde ihnen eins vorkeuchen wie ein zuschanden gerittenes Pferd. Spucken und röcheln werde ich, daß es jeden erbarmt. Sieh allein zu, wie du dein Väterchen dem Staat stehlen kannst.«
    Man muß Glawira kennen, um sie zu verstehen. Sie war das Rauheste, was es an Weib gab. Aber in ihrer Seele lag so viel Weichheit, daß keiner es glauben wollte, und deshalb war sie wie ein giftspeiender Drache. Njuscha merkte es, als Glascha ihr beim Weggang einen Schlüssel in die Hand drückte.
    »Er paßt zu allen Türen«, sagte sie. »Man kann von draußen mit dem Transportfahrstuhl hinunter.«
    »Ich danke dir, Glascha.« Njuscha streckte ihr beide Hände hin. Glawira schüttelte den Kopf, blickte hinüber zu dem zugedeckten Kolzow und entfernte sich schnell. Auch Njuscha blieb nicht mehr lange im Keller. Sie löschte die Lichter, nur im Kühlraum ließ sie eine einsame Birne brennen.
    »Ein Stündchen nur, Väterchen«, sagte Njuscha zu dem zugedeckten Toten und strich ihm über den Kopf. »Du sollst aufgebahrt werden wie ein Held –«
    Mit dem Transportfahrstuhl verließ sie das Krankenhaus, fuhr mit der Straßenbahn zum Wolga-Ufer und sah schon von weitem Sascha warten. Er lief unruhig auf der breiten Treppe zwischen den Siegestempeln hin und her, rauchte und schien sehr unglücklich. Als er Njuscha sah, warf er beide Arme hoch in den fahlen Nachthimmel. Er lief ihr entgegen, mit ausgestreckten Händen, und war wie ein Mensch, der nach langer Wüstenwanderung verdurstend einen Brunnen erblickt und auf ihn zustürzt.
    »Was ist geschehen?« schrie er, als sie sich auf Rufweite näher gekommen waren. »Njuscha! O Gott, ich bin zerrissen von Sorge …«
    Sie fiel in seine Arme, umklammerte ihn, und jetzt erst weinte sie, grub das Gesichtchen in seine Jacke, biß vor unerträglichem Schmerz in seine Brust und heulte wie ein junger Wolf.
    »Sie haben Väterchen gebracht … im Gefängnis … tot … O Sascha, Sascha, in welcher Welt leben wir –«
    Er hob sie hoch und trug sie die Stufen hinunter zur Wolga. Auf einer der weißen Bänke legte er sie nieder, umfaßte ihr zuckendes Gesicht und starrte sie an. Ihr Körper bebte und die Füße trommelten auf die Bankbretter.
    »Er ist tot –«, sagte er dumpf. »Und ich habe ihn getötet. Ich allein. O wäre ich doch nie in dieses Land gekommen – Njuscha, ich habe ihn auf dem Gewissen.«
    Er setzte sich neben sie, hob ihren Kopf in seinen Schoß und blickte über die schwarzen Wellen der Wolga. Hier, wo sie saßen, war die Nacht voll tiefer Schatten. Das Lichtermeer der Stadt lag hoch über dem Ufer und färbte den Himmel silbergrau. Aus den Büschen der Parkanlage tropfte die Schwermut der Steppe, die jenseits des Stromes begann und vom Himmel aufgesaugt wurde.
    »Er wollte uns nicht verraten«, sagte sie und schluchzte laut. Aber plötzlich sprang sie auf und schüttelte wild die Fäuste. Bodmar brauchte alle Kraft, sie wieder auf die Bank zurückzudrücken. »Ich werde ihn rächen!« schrie sie und hämmerte mit den Fäusten auf die Banklehne. »Alle in Perjekopsskaja werden ihn rächen! Sascha … das hat er uns als Erbe hinterlassen. Wir werden wie reißende Tiger werden –«
    Bodmar schwieg. Er preßte Njuscha an sich und wühlte seine Hände in ihr langes blondes Haar. Die Wolga vor ihnen klatschte gegen die Uferbefestigungen. So saßen sie eine ganze Zeit, schweigend, aneinandergeklammert, gequält von Schmerz und Schuldgefühl, und ahnten, daß ihr Leben von nun an angefüllt sein würde mit Schrecken, Angst und Blut.

V IERUNDZWANZIGSTES K APITEL
    Borja Ferapontowitsch Aljexin schlief in Box VIII hinter dem Sarg des toten Nikolai Trofimowitsch Sifkow, eines neunundachtzigjährigen Mannes, der vor drei Tagen in der Straßenbahn umgefallen und neben dem Fahrersitz gestorben war. Er hatte sich, so sagte man, darüber aufgeregt, daß der Straßenbahnfahrer einen kleinen Hund, der über das Gleis lief, überfahren hatte, statt eine Notbremsung vorzunehmen.
    »Bei einer Notbremsung wäre das Alterchen mit dem Kopf durch die Scheibe gesegelt«, verteidigte sich der Fahrer, als man den Toten aus dem Wagen hob. »So oder so … er wäre gestorben. Hatte ein schwaches Herz, der Genosse. Ich kann doch nicht jeden, der in meinen Wagen steigt, fragen: Haben Sie sich untersuchen lassen? Wie ist der Blutdruck? Ist Ihre Herzkurve normal? Genossen, wo kämen wir da hin?«
    Wie's auch gewesen war … nun lag Sifkow in Box VIII, seine Hinterbliebenen hatten

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