Liebe am Don
Beamte der Universität, die lassen nicht mit sich spaßen.«
»Wir begraben ihn«, sagte Njuscha langsam. Sie ging wieder zu Kolzow und streichelte seine kalten Wangen. Es sah rührend aus, aber in Glawira war die Angst vor Komplikationen größer als jede andere seelische Regung. »Ich werde mit Sascha sprechen.«
»Auch er kann hier nicht helfen. Ein Totengräber kann nur jemanden begraben, den er hat. Aber er wird ihn nicht bekommen. Hier steht es.« Glawira hob den Laufzettel hoch. »Kolzow ist keine gewöhnliche Leiche mehr. Er ist Staatseigentum. Eigentum des werktätigen lernenden Volkes. Es wäre Sabotage, ihn einfach zu begraben. Und überhaupt – wen sollen wir anstelle von Kolzow abliefern, wenn die Beamten von der Anatomie kommen? Hier liegt kein Toter herum, auf den seine Verwandten verzichten würden –«
»Wir werden ihn begraben«, sagte Njuscha unbeirrt. »Er war ein guter Mensch, und er gehört in die russische Erde. Väterchen –«, sie beugte sich wieder über Kolzow, schob die Arme unter seine Schultern, und während Glawira seine Beine packte und sie ihn gemeinsam in die Wanne mit dem warmen Wasser hoben, küßte sie seine Stirn. »Den schönsten Sarg sollst du bekommen. Und Sascha wird dir ein Grab aussuchen, auf das immer die Sonne scheint. Du hast sie so geliebt, die Sonne über dem Don –«
Mit einer Ruhe und Sorgfalt, die Glawira den Schweiß auf die Stirn trieb, wusch Njuscha ihren toten Vater. Sie rasierte ihn, denn Kolzow hatte aus dem Keller des KGB einen Stoppelbart mitgebracht, und sie kämmte ihm das eisgraue Haar und den Schnauzbart, auf den er Zeit seines Lebens so stolz gewesen war. Wenn Kolzow nachdachte, wenn etwas Wichtiges in seinem Leben geschah, wenn er wütend war oder erfreut, eine schöne Frau ansah oder sich mit den Genossen wegen der Saat stritt, wenn er Reden im Parteihaus hielt oder auf dem Pferdemarkt handelte, immer hatte er sich seinen Schnauzbart gestrichen oder die borstigen Haare um seine Finger gewickelt. Man kannte ihn nicht anders … es gehörte zu Kolzow wie das Wiehern zum Hengst.
Nachdem er gewaschen, rasiert und gekämmt war, verließ Glawira den Waschraum und kam nach ein paar Minuten mit einem Fläschchen Lavendelwasser zurück. Für teures Geld hatte sie es in der staatlichen Parfümerie gekauft, nachdem die große Wandlung stattgefunden hatte und Schönheitspflege fast zu einem Programmpunkt der Partei geworden war. Das war die andere Seite der Glawira, die nur wenige kannten: Nach dem Dienst im Leichenkeller machte sie sich hübsch, zog moderne Kleider an, schminkte sich die Lippen, bespritzte sich mit Parfüm, ließ sich das Haar in Locken legen und spazierte am Wolga-Ufer entlang, saß in den schwimmenden Cafés und genoß es, ein Bürger dieser Stadt zu sein, ein Symbol des modernen Russen. Sie war keine Schönheit, bei Gott nicht, aber sie hatte, wenn sie geschminkt war, immerhin soviel Weiblichkeit an sich, daß ab und zu ein Mann sie ansprach und mit ihr ins Bett wollte. Für jeden Topf gibt es einen Deckel, selbst für die verbeulten, und so hatte auch Glawira ihre nächtlichen Geheimnisse, über die sie nicht sprach. Mit wem sollte sie auch reden? Ihre Tagesgenossen waren stumm und steif, und als sie einmal die Dummheit beging und einem Mann, der neben ihr lag und nach der Anstrengung der Liebesarbeit eine Papyrossa rauchte, ihren Beruf gestand, sprang dieser aus dem Bett, als habe ihn eine Armee von Flöhen überfallen, und jagte aus dem Zimmer. So eilig hatte er es, daß er erst auf dem Treppenflur seine Hose anzog. Von da ab sprach Glawira nicht mehr über ihren Beruf. Sie nannte sich philosophisch ›Reisevorbereiterin‹, worunter sich keiner etwas vorstellen konnte. Niemand war aber auch bereit, sich die Blöße zu geben und zu fragen, was das bedeutete.
»Danke, Glascha –«, sagte Njuscha und nahm die Flasche mit Lavendelwasser. Sie rieb ihren Vater mit der duftenden Flüssigkeit ein, und dann hoben sie ihn zurück auf die Rollbahre und deckten ihn mit einem neuen weißen Laken zu.
»Ich bin blind und taub«, sagte Glawira, als Njuscha ihren Vater nicht in den Transportkeller, sondern zurück in den Kühlraum rollte. »Mach mit ihm, was du willst. Trag ihn auf den Schultern hinaus, zieh ihn hinter dir her … ich habe nichts damit zu tun. Ich gehe jetzt nach Hause und lege mich ins Bett. Wenn morgen hier die Hölle los ist, sieh zu, wie du mit den Teufeln fertig wirst. Ich werde mich krank melden, bis alles geklärt ist.
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