Liebe am Don
tippte ihm auf den verhangenen Kopf und machte ein böses Gesicht.
»Den haben sie uns dazwischengeschmuggelt. Aus dem Gefängnis. Soll in die Anatomie. Warum wir ihn erst waschen müssen, wenn man ihn doch hinterher zerschneidet? Aber so ist es, Njuscha. Sie verteilen Arbeit, ohne zu denken.«
Sie gab dem Rollbett einen Tritt, der Tote fuhr zu Njuscha und stieß an die flache Wanne. Njuscha ließ Wasser in die Mulde laufen und beugte sich dann über den Leukoplaststreifen, den alle Leichen am linken Fuß trugen. Das Namensschildchen, damit es keine Verwechslungen gab.
Njuscha schob das weiße Laken etwas zurück und hob den Fuß hoch, um besser lesen zu können.
Kolzow, stand auf dem Streifen.
Ganz langsam ließ Njuscha den Fuß wieder sinken. Ihre Augen fielen nach innen, das Gesicht wurde klein und schmal, als löse sich alles Fleisch auf. Dann beugte sie sich vor und schob ganz vorsichtig das Laken vom Kopf des Toten.
»Väterchen …«, sagte sie leise. »O Väterchen … du bist zu mir gekommen …«
Sie legte ihr Gesicht neben seinen Kopf, küßte die eisgrauen Haare und streichelte seine kalten Wangen.
Mit weiten, entsetzten Augen starrte Glawira sie an, und als Njuscha den Toten küßte, bekreuzigte sie sich.
»Väterchen … was haben sie mit dir gemacht …«, sagte Njuscha zärtlich. »Nun bist du gekommen, um mir alles zu erzählen –«
*
Es war eine stille Stunde, unten im Leichenkeller des Krankenhauses Nr. 1 von Wolgograd.
Glawira saß auf ihrem Hocker an der gekachelten Wand und ließ Njuscha mit ihrem toten Vater in Ruhe. Vergeblich hatte sie versucht, sie zurückzureißen, aber da war Njuscha wie ein wildes Tier geworden, hatte um sich geschlagen und nach Glawira getreten.
»Sie haben ihn umgebracht!« schrie sie. Das Laken hatte sie von dem Leichnam gerissen und seinen zerschundenen Körper betrachtet. Aber Kolzows Gesicht war voll Frieden, ein Lächeln lag um seine Lippen, im Tode festgefroren, als wollte er nie mehr den Sieg hergeben, den er über Tumow errungen hatte. »Sieh es dir an!« schrie Njuscha. »Mein Väterchen ist es, mein tapferes Väterchen! O wie stolz bin ich auf dich … wie ein Held bist du gestorben …«
Sie herzte und küßte weiter den Toten, und Glawira hütete sich, sie daran zu hindern. Erst später, als Njuscha vor ihrem Vater saß, die Hände im Schoß gefaltet, in der Haltung, in der seit Jahrhunderten die russischen Frauen ihre Totenwache halten, schlich sich Glawira an sie heran.
»Er wurde vom KGB eingeliefert«, flüsterte sie. »Ich habe den Transportzettel hier. War er ein Konterrevolutionär?«
»Nein. Väterchen war ein guter Kommunist. Er war der Dorfsowjet von Perjekopsskaja.«
»Und trotzdem haben sie ihn umgebracht?«
»Das ist eine lange Geschichte, Glascha.« Njuscha legte die Hand über Kolzows eingefallene Augen. »Er starb meinetwegen.«
»Wie soll man das verstehen?«
»Vergiß es, Glascha –« Sie stand auf, ging zu dem flachen Becken und ließ warmes Wasser in die Mulde laufen. Wie bei den anderen Leichen, die sie bisher gewaschen hatte, bereitete sie alles vor, um ihren Vater für den Sarg zurechtzumachen. Glawira blickte forschend auf den toten Kolzow und schüttelte dann den Kopf.
»Du weißt, was sie mit ihm vorhaben?« fragte sie. Njuscha drehte sich am Becken um.
»Nein.«
»Er soll in die Anatomie. Zu den Studenten. Dort werden sie ihn auseinandernehmen wie ein altes Auto. Der eine bekommt ein Bein, der andere den Arm, der dritte ein Stück Darm. Lernen sollen sie an ihm, wie's in einem Menschen aussieht. Und den Kopf …« Glawira überlegte, ob sie Njuscha erklären sollte, was man mit einem Schädel macht, entschloß sich aber dann, Njuscha nichts davon zu erzählen. Sie sah, wie Njuschas Gesicht sich vor Entsetzen verzerrte, schon bei dem Gedanken, Väterchen könne als Übungsobjekt in einzelne Stücke zerlegt werden.
»Er wird nie in die Anatomie kommen. Nie!« sagte Njuscha laut. Ihre Stimme hallte wider in dem kahlen Raum. Sie erschrak vor sich selbst.
»Es ist ein Befehl.« Glawira holte vom Tisch in der Ecke, an dem sie ihre Liste über die Waschungen führte, einen Laufzettel, der bei Kolzow unter dem rechten Bein gelegen hatte. »Sie holen ihn morgen ab.«
»Väterchen wird begraben werden wie ein echter Kosak.«
»Und wenn sie kommen und seine Leiche verlangen? Was soll ich sagen? Nein, ich gebe sie nicht 'raus. Njuscha weigert sich. Auslachen werden sie mich! Töchterchen … es handelt sich um
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