Liebe am Don
große Schwierigkeiten sah. Man konnte nicht schon wieder den Inspektor für die Grabvergabe bestechen, so etwas fiel auf, denn auch der geldgierigste Beamte wird stutzig über so viele illegale Leichen. Menschikow würde sicherlich hundert Rubel verlangen, und das war Tumow nicht wert. »Für die Ewigkeit soll er neben seinem Opfer schlafen. Gibt es wirklich eine unsterbliche Seele, so soll sie weinend und jammernd auf dem Grabhügel sitzen und Väterchen um Vergebung bitten.«
Borja wußte nach längerem Nachdenken einen Ausweg. Er ließ sich die Bebauungspläne des neuen Friedhofs geben und bestimmte ein Stückchen Erde, wo einmal eine Hecke gepflanzt werden sollte. Sie war nur vier Meter von Kolzows Grab entfernt.
»Nehmen wir an«, sagte Borja weise, »daß seine Seele nicht kurzsichtig ist, so kann sie gemütlich Dimitri Grigorjewitschs Grab sehen. Was sind vier Meter, Töchterchen? Und wir graben Tumow so tief ein, daß sie ihn beim Pflanzen der Hecke nicht wieder ans Licht werfen … Sollte es doch möglich sein … wer weiß, wie die Welt in den siebziger Jahren aussieht? Eins ist sicher: ich lebe nicht mehr. Und ihr? Der Wind wird euch über das Land geweht haben wie Spreu – Also, fangen wir an. Zwei Meter tief, Sascha. Der Verdammte soll auch noch Schwierigkeiten bei der Wiederauferstehung haben.«
Nach dem offiziellen Dienst, nachmittags gegen sechs Uhr, begannen Borja und Sascha mit dem Ausheben des Grabes. Njuscha hatte sich im Krankenhaus Urlaub genommen. »Mein Leib schmerzt mir«, hatte sie zu Glawira gesagt, die murrend zwischen ihren Leichen saß und unlustig die kalten Körper reinigte. Das war selten, denn meistens war Glawira guter Laune – wir wissen es ja, Genossen – und liebte ihre Arbeit. So etwas klingt schauerlich, aber wer kann schon eine menschliche Seele ganz ergründen? Der Umgang mit den Toten hatte etwas Beruhigendes an sich … keiner meckerte, keiner machte Schwierigkeiten, es gab keinen Streit um lächerlich kleine Dinge, alle waren zufrieden mit dem, was Glawira mit ihnen machte. Gibt es dankbarere Kunden?
»Aha, der Leib tut weh!« schrie Glawira und wusch einen Alten, dem man eine Niere herausgenommen hatte, allerdings zu spät. »Fing in der Nacht an, nicht wahr? Ich kenne das, ich kenne das … sag deinem Sascha, er soll sich nicht benehmen wie ein Bulle. Diese Männer! Gut, gut, geh nach Hause und leg dich hin.«
Njuscha band ihre Gummischürze ab und verließ den Keller. Glawira brauste mürrisch den toten Alten ab und begann ihn dann zu rasieren. Ihre schlechte Laune hatte ihren Grund in einem Gespräch, das sie vor Dienstantritt mit der Genossin Leiterin des Fraueneinsatzes geführt hatte.
»Ich werde dir Njuscha wegnehmen«, hatte die Genossin gesagt. »Sie ist fleißig, jung und stark. Ich kann sie auf der Station besser gebrauchen. Sie ist zu schade, um Leichen zu waschen. Ein Häubchen wird sie bekommen und Kranke pflegen.«
»Und ich?« hatte Glawira geschrien. »Mehr als dreihundert Prozent Soll schaffe ich nicht. Genossin, ich bin keine Maschine! Sagen Sie den Ärzten, sie sollen weniger sterben lassen, dann gibt es unten im Keller auch keine Stockungen.«
»Beruhigen Sie sich, Genossin Glascha«, hatte die Leiterin gesagt. »Eine Ersatzperson ist schon da. Sie kommt morgen früh.« Sie schob Glawira ein Foto über den Tisch. Es stellte eine große, breite Frau dar mit einem riesigen Haarknoten im Nacken. Ihr Lächeln in dem breiten Gesicht war etwas dümmlich und schief. »Fast zwei Meter groß«, erklärte die Leiterin. »Stark wie ein Büffel. Sie werden es bald besser haben, Glascha.«
Njuscha wußte es noch nicht, und Glawira hatte keine Lust, es ihr zu sagen. Sie grollte mit dem Schicksal. An Njuscha hatte sie sich gewöhnt, man konnte mit ihr sprechen, sie war ein erfreulicher Anblick … was jetzt kam, war ein Turm von Weib, sicherlich mit einer grollenden, tiefen Stimme, dumm wie Hundedreck und eine Art menschlicher Bagger, der die Toten griff und in die Wannen warf und sie hin und her transportierte ohne jede Regung. Glawira aber lebte mit ihren Toten. Sie dachte über ihr Schicksal nach, entdeckte jeden Tag neu die Vielfalt des Lebens, nachdem es verloschen vor ihr lag, und konnte stundenlang über einen Toten sprechen, der sein Dasein genossen hatte, dem das Schicksal alles schenkte, Glück im Beruf, Reichtum, eine Datscha, ein liebes Weibchen, süße Kinderchen, ein Klavier, auf dem er Borodin spielte und selbst dazu sang, jedes Jahr eine
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