Liebe am Don
hatte keinen Sinn mehr, weiterzureden. Er gab dem Piloten ein Zeichen, und die Rotorflügel begannen zu kreisen. Die Menschen spritzten zur Seite.
Eine ganze Kompanie lege ich übermorgen nach Perjekopsskaja, dachte Tumow grimmig. Das hier ist eine Kraftprobe … ich werde sie gewinnen. Und wenn sie Schädel aus Flußstein haben … ich sprenge sie auf!
»Kreisen!« befahl er, als der Hubschrauber in der Luft war.
Sie flogen dreimal über Perjekopsskaja, und Tumow betrachtete aus der Höhe die Stätte seines kommenden Kampfes.
Die Hütten, teils mit Ziegeln, mehr aber noch mit Stroh gedeckt. Die Gärten hinter den Flechtzäunen, die Ställe und Scheunen. Die Weiden und Felder. Die weite Steppe bis zu den einzelnen kleinen Waldgruppen. Die Pferdeherden. Auf dem Platz vor dem Parteihaus noch immer die bunte Masse der Menschen. Der breite Don mit seinen sandigen und schilfigen Ufern. Der Steinklotz der halbfertigen Pyramide. Die rosa leuchtende Kirche mit dem hölzernen Zwiebelturm und dem bronzierten Doppelkreuz. Eine kleine, heile, schöne Welt.
»Ich werde sie zerstören!« sagte Tumow halblaut zu sich und ballte die Fäuste. »Ich muß sie zerstören, der allgemeinen Ruhe wegen –«
F ÜNFUNDZWANZIGSTES K APITEL
Timor Antonowitsch Brutjew war Fotograf. Er betrieb in Wolgograd sein Atelier in Blickweite des ›Heiratspalastes Innenstadt‹ und nannte sich stolz ›Bildkünstler‹. Er fotografierte Säuglinge und Hunde, bärtige Großväter und verliebte Mädchen, Marktfrauen und Tänzerinnen, Parteifunktionäre und einmal sogar einen Kanarienvogel, der den 1. Preis auf einer Ausstellung erhalten hatte. Sein Hauptgeschäft aber waren die Hochzeitspaare. Nachdem sie im Heiratspalast ihr Ja gesagt hatten, nahm sich ihrer ein Angestellter Brutjews an, zeigte ihnen Musterfotos und lotste sie über die Straße ins Atelier.
Das Geschäft blühte, denn frisch verheiratete Ehemänner sind noch aufgeschlossen für Erinnerungsfotos … später sind sie froh, ihre Alte nicht mehr zu sehen, und auf Bildern schon gar nicht. Tür auf, Tür zu … so ging's bei Brutjew … ein Paar nach dem anderen, alle glücklich, immer lachende Gesichter, stolze Väter, strahlende Mütter, würdige Verwandte, überall Sonnenschein. Es ist schon ein schöner Beruf, Fotograf zu sein.
Um siebzehn Uhr pflegte das Geschäft abzuflauen … dann schloß der Heiratspalast, der Lotse ging nach Hause, und Brutjew gönnte sich eine Verschnaufpause bei einer Tasse Tee. Die Abende waren dann ausgefüllt mit der Dunkelkammerarbeit, mit Entwickeln, Vergrößern, Wässern, Retuschieren. Vor allem das Retuschieren war die große Kunst Brutjews: Er konnte aus einem faltigen Mütterchen eine blühende Frau machen, was ihm immer viel Lob einbrachte.
An diesem Tag – es war gegen achtzehn Uhr, Brutjew sah auf die Uhr, um diese denkwürdige Stunde genau festzuhalten – erschien ein wunderschönes Frauchen in seinem Atelier. Eine Unbekannte mit langen blonden Haaren, festen, blanken Beinen, großen blauen Augen und einem Körperchen, das Brutjew, als Fotograf gewöhnt, Schönheiten zu erkennen, den Gaumen austrocknen ließ.
»Ich möchte ein Foto haben«, sagte das Weibchen. »So groß.« Sie umzirkelte mit der Hand eine Fläche, und Brutjew stellte fest, daß es das Format achtzehn mal vierundzwanzig sein müßte.
»Ein Porträt«, sagte Brutjew und rieb sich die Hand. »Es wird ein Meisterwerk werden. Ausstellen werde ich es.« Er schloß die rechte Hand zu einer Röhre und blickte mit zusammengekniffenen Augen hindurch. »Nur den Kopf, ohne Hals, ganz groß den Kopf mit flatterndem Haar. Ich werde dazu einen Föhn blasen lassen … Halbprofil, mit leicht geöffneten Lippen. Genossin … die Betrachter werden Schlange stehen und sich um einen Blick auf das Bild prügeln. Bitte nehmen Sie Platz, dort auf dem Stuhl, vor der weißen Wand … ich leuchte Sie zuerst aus.«
»Danke«, sagte Njuscha und blieb mitten im Atelier zwischen den Lampen, Kameras, Kabeln und Reflektoren stehen. »Es soll kein Kopfbild sein … ich will den ganzen Körper. Den Körper ohne Kopf.«
Brutjew wischte sich über das Gesicht. Er atmete hastig, denn er litt unter leichtem Asthma. »Ohne Kopf?« wiederholte er.
»Sie haben es gehört, Genosse. Nur den Körper.«
Brutjew war kein Mensch, den man so leicht aus der Ruhe bringen konnte. Ein Fotograf ist vieles gewöhnt, das bringt der Beruf mit sich. Der eine will, daß sein Bart plastisch herauskommt, der andere will mehr
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