Liebe am Don
dunkle Rede nicht, aber er nickte und beglückwünschte sich im stillen, daß er noch einen Abzug gemacht hatte. Den hängte er sich über sein Bett, und bevor er einschlief, traf sein letzter Blick diesen kopflosen, herrlichen Körper.
»Es ist ein schamloses Bild, Sascha«, sagte Njuscha später, als sie mit Bodmar auf einer Bank am Wolga-Ufer das Foto betrachtete. »Aber es wird wirken wie Leim auf eine Fliege. Was meinst du?«
»Jeder Mann, der dieses Bild bekommt, würde den Verstand verlieren und hundert Werst weit laufen, um diesen Körper in Natur zu sehen.« Bodmar drehte das Foto in den Händen. »Und daß gerade er es sehen soll –«
»Er wird es nicht lange bei sich haben, Sascha. O Gott, war es schwer, sich so hinzustellen, in das volle Licht …« Sie lehnte den Kopf an seine Schulter und legte ihre Hand flach über das Foto. »Aber ich habe an Väterchen gedacht … und da war ich ganz ruhig und habe mich nicht mehr geschämt. Kannst du das verstehen, Sascha?«
»Ich habe vieles in diesem Land verstehen gelernt.« Bodmar steckte das Bild in einen großen Umschlag, befeuchtete die Gummierung und klebte ihn zu. »Und wenn er nicht reagiert?«
»Ist er nicht ein Mann?«
»Bei Gott, ich liebe einen Teufel.« Er stand auf und zog Njuscha von der Bank hoch.
»So wie wir lieben, können wir auch hassen«, sagte sie. »Wir reißen die Blitze vom Himmel, wenn es sein muß.«
Sie küßten sich, und dann gingen sie Hand in Hand die Treppen hinauf in die Stadt, warfen den Brief in einen Briefkasten und fuhren mit der Straßenbahn zurück an die Wolga, zu den Volkows, die schon mit dem Abendessen auf sie warteten und die Neuigkeit zu berichten hatten, daß man aus der Leichenhalle ein Großväterchen geklaut habe. Alle Zeitungen schrieben darüber.
Am nächsten Morgen – es war der fünfte Tag nach Kolzows Tod – erhielt Major Tumow einen großen Brief. Er war gerade damit beschäftigt, ein Schreiben nach Moskau aufzusetzen, in dem er begründete, warum er einen Militäreinsatz in Perjekopsskaja für notwendig und nützlich halte. Gleichzeitig bat er um weitreichende Vollmachten. Rossoskij, das wußte Tumow, würde sie ihm gewähren.
Er drehte den Brief ein paarmal zwischen den Fingern, ehe er den Umschlag aufriß. Kein Absender, die Adresse geschrieben mit einer Maschine.
In den nächsten Minuten saß Tumow still und versunken hinter seinem Schreibtisch und betrachtete das Foto, das da mit der Post gekommen war. Ein Zettel lag dabei, beschrieben mit einer zierlichen, fast tänzerischen Mädchenschrift.
»Ich habe Sie auf der Straße gesehen, schöner Major, und ich habe mich erkundigt, wer Sie sind. Ich liebe schöne Männer, wie ich Ihnen ansehe, daß Sie schöne Frauen lieben. Ich stelle mich Ihnen vor mit dem, was wichtig für uns beide ist. Wollen wir uns lieben? Ich erwarte Sie morgen nacht um vierundzwanzig Uhr an der Mauer des Friedhofs Nr. II, dort wo das Materiallager ist. Seien Sie nicht verwundert über den seltsamen Treffpunkt … Paradiese liegen hinter den Wüsten …«
Tumow legte das Foto auf den Tisch und starrte gegen die Wand. Es war der ungewöhnlichste Brief, den er je bekommen hatte, aber es war auch der schönste und inhaltsreichste.
Er kann ein Scherz sein, dachte er. Aber auch die Wahrheit. Wer weiß es? Man muß glauben, was man glauben will, und das Foto ist Wahrheit, das läßt sich nicht leugnen.
Er hob das Bild wieder hoch, führte es nahe an seine Augen und betrachtete jede Einzelheit dieses herrlichen Körpers ohne Kopf. In seinen Schläfen begann es zu klopfen und das Blut zu rauschen.
Welch ein Körper, dachte er. Diese schwellende Jugend. Wie glatt die Haut ist, wie sie leuchtet, wie fest das Fleisch …
Um Mitternacht an einer Friedhofsmauer. Verrückt so etwas, als wenn man Dostojewski lese. Nur ein Narr geht auf so etwas ein. Aber wird man nicht ein Narr, um so einen Leib zu umarmen?
Tumow warf das Bild auf den Tisch zurück und wischte sich über die Augen. In seinen Adern jagte die Erwartung wie ein Fluß nach der Schneeschmelze.
Er beschloß, der Aufforderung nachzukommen. Aber er beschloß auch, seine Pistole mitzunehmen.
Man kann auch lieben, dachte er, mit einer Waffe in der Hand.
*
Alles war vorbereitet für die Vernichtung Boris Grigorjewitsch Tumows. Ein Grab wurde ausgehoben, und Njuscha selbst bestimmte, daß es in unmittelbarer Nähe Kolzows liegen müsse. »Er soll bei seinem Opfer liegen«, sagte sie, als Borja sich den Kopf kraulte und
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