Liebe am Don
das Leben selbst in seiner Fülle von Verschwendung, und da hockte Borja auf seinem Rad, der alte, verwahrloste Philosoph, der Totengräber von Wolgograd, und auch er war wunderbar und ewig wie dieses Land, in dem man sein Herz verliert.
»Hast du Durst, Söhnchen?« fragte Borja und holte vom Gepäckträger seines Rades eine Tasche.
»Ja, Borjuschka –«, sagte Bodmar. Er atmete tief auf und saugte diesen Duft von Unsterblichkeit in sich hinein.
»Tee ist's, mit Wodka.« Borja blinzelte wie ein alter Säufer, der ein tropfendes Faß entdeckt. »Welch ein Tag, ihr Lieben! War es eine gute Idee, hinauszufahren?«
»Es war eine gute Idee.« Bodmar nahm die Flasche und trank einen tiefen Schluck. Dann gab er sie an Njuscha weiter, und sie trank ebenfalls, als sei sie ein Fuhrknecht. »Ich danke dir, Borja …«
»Wofür, Söhnchen?«
»Ich sehe die Sonne heller –«
»Er ist verliebt!« Borja lachte und schlug sich auf die Schenkel. »Njuscha, gib ihm einen Kuß … schnell, gib ihm einen Schmatz … Der Frühling rumort in ihm. Wenn's euch stört, ich dreh mich um, Kinderchen, oder fahre ein Stückchen übers Land. Er sieht die Sonne heller …«
Er schwang sich auf sein Rad und fuhr los, ohne sich umzublicken.
»Willst du nach Deutschland zurück?« fragte Njuscha leise und tastete nach Bodmars Hand.
»Nein.« sagte er laut. »Nein. Ich würde ersticken –«
N EUNUNDZWANZIGSTES K APITEL
Zwei Werst vor Perjekopsskaja, mitten in der Steppe, hielt die Militärkolonne aus Wolgograd an. Es blieb ihr gar nichts anderes übrig, denn vor ihnen waren Straße und Steppe durch tief gestaffelte Reihen von Pferdeleibern versperrt. Im Sattel saßen hochaufgerichtet die Kosaken, wie in alten Zeiten die Lanzen neben sich in die ledernen Köcher gestemmt. Sie waren in Schwadronen eingeteilt, man sah es ganz deutlich … vor jeder Abteilung stand ein Reiter mit dem Wimpel, und neben ihm wartete der Hornist auf das Zeichen zum Angriff. Die Atamanen, die Schwadronskommandeure, bildeten die Spitze. Mit gezogenem Säbel blickten sie finster auf die lange Autoschlange, die sich in einer Staubwolke durch die Steppe bewegte.
»Das ist doch nicht möglich!« sagte der Hauptmann, der die Militärmacht aus Wolgograd befehligte. »Die wollen doch nicht angreifen? Das wäre ja eine regelrechte Schlacht, und so was mitten im Frieden!« Er stieg aus, vertrat sich vor dem Auto etwas die Füße und starrte auf die Mauer aus Pferdeleibern. Der Leutnant, der den I. Zug kommandierte, nahm seine Mütze ab und wischte sich den Schweiß vom Kopf. Der Abend war warm und drückend, die Luft stand unbeweglich wie in einem Backhaus.
Schon Stunden vorher hätte man gewarnt sein können, wenn man die Augen richtig aufgehalten hätte. Da waren plötzlich Reiter aufgetaucht, hatten in einiger Entfernung die Kolonne umkreist und jagten dann auf ihren kleinen, schnellen Pferden wieder davon. Das wiederholte sich mehrmals … ein paar Punkte am Horizont, donnernde Hufe von wieselgleichen Gäulchen, junge Burschen, die über den Pferdehälsen hingen … ein paar Umkreisungen, manchmal auch ein kurzes Anhalten und Beobachten … und dann entfernte sich die Kavalkade wieder und wurde aufgesaugt von der Steppe.
Man beachtete diese Reiter nicht sonderlich. Neugierige, dachte man. Pferdehirten, für die es eine Sensation ist, daß eine Militärkolonne durch die Steppe zieht. In den Dörfern, die man durchfuhr, war es nicht anders … hinter den Flechtzäunen stand alles, was laufen konnte, vom rotznasigen Kind bis zum speichelnden Urgroßvater. Aber es hätte den Offizieren auffallen müssen, daß die Bewohner schweigend und mit bösen Blicken dastanden, daß kein richtiger Mann ihnen auf der Dorfstraße begegnete oder in den Gärten arbeitete … nur Kinder, Weiber und Greise drängten sich vor den Häusern. Als die Soldaten winkten, benahmen sie sich wie Schaufensterpuppen und rührten sich nicht.
Es war, als fahre man durch ein leeres Land. Die Stille war bedrückend, das Spalier der Alten und Kinder wirkte fast wie eine Provokation.
Nun wußten die Soldaten, warum es keine Männer in den Dörfern gab … sie saßen dort drüben auf ihren Pferden und versperrten den Weg nach Perjekopsskaja.
»Wir wollen alles vermeiden, was Unruhe heraufbeschwört«, sagte der Hauptmann und lehnte sich an den Kühler seines Wagens. »Lassen Sie den Funkwagen zu mir kommen, Mihail Alexandrowitsch … hier kann ich jetzt nicht mehr allein entscheiden.«
Der junge
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