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Liebe am Don

Liebe am Don

Titel: Liebe am Don Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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und ging um das Stück Erde herum. »Hier hatten wir die große Grube ausgeworfen … mit Baggern, Söhnchen … ein paar Meter tief und vielleicht zwanzig Meter lang. Und immer war sie noch zu klein … 18.000 deutsche Tote brachten sie auf den Lastwagen heran, nur von hier, dieser verdammten Straße. Wir haben sie dann wie Brennholz geschichtet, mit Benzin und Öl übergossen und verbrannt. Ein Gestank war das. Der Himmel war tagelang schwarz vom Qualm, und der Geruch klebte an uns wie Rotz. Aber wir waren stolz, Söhnchen. Wir hatten Stalingrad befreit. Die Wolga gehörte wieder uns. Welch ein Triumph! Als die toten Deutschen brannten, kamen sie uns vor wie Siegesfackeln. Überall hier in der Steppe loderten die Feuer … aber hier, an dieser Stelle, war das größte. Hier stand ich. Später verteilten wir mit Schneepflügen die Asche und stapelten neue Leiber auf. Fast hätte das Benzin nicht mehr gereicht … man soll nicht glauben, wie langsam ein Mensch brennt.«
    »Auch sie waren Söhne von Müttern –«, sagte Bodmar heiser. »Und es waren Väter, die Söhne hatten –«
    »Haben wir sie gerufen, he? Überfallen haben sie uns, das Land zerstört und verwüstet, die Stadt zertrümmert … sollten wir sie nun auch noch beweinen?«
    »Die wenigsten wollten hierher, wo sie starben.«
    »Aber sie waren da und töteten. Erklär mir mal, Söhnchen, warum sie das taten. Ich weiß, ich weiß, bist ein moderner Mensch, denkst anders als wir, hast keinen Krieg erlebt, weißt nicht, was es heißt, in einem Erdloch zu liegen und darauf zu warten, daß man dich umbringt, und man bringt dich um, weil du dein Vaterland verteidigst, was dein gutes Recht ist … aber damals, Sascha, da stand das Blut auf dem Land wie Regenpfützen, und wir fragten uns: Was haben wir den Deutschen getan? Warum fallen sie über uns her? Wir haben unsere Felder bestellt, haben in unseren Fabriken gearbeitet, im Winter haben wir die Fenster verklebt und im Frühjahr das Eis auf dem Fluß gesprengt, auf dem Ofen haben wir geschlafen wie seit Jahrhunderten … und da kommen die Deutschen und brennen unsere Dörfer nieder und erschießen die jungen Burschen, und keiner weiß warum.«
    »Du hast recht, Borja … keiner weiß warum.« Bodmar blickte die Straße nach Pitomnik hinunter. Hier wollte ich stehen, um dich begreifen zu lernen, Vater, dachte er. Darum bin ich nach Rußland gekommen, um hier, an der Stelle des Untergangs, zu erfassen, was damals in euren Hirnen vorging.
    Es ist unmöglich, Vater, verzeih mir. Man wird euch nie begreifen. Du bist dort drüben in der Stadt gestorben und zu Asche verbrannt worden, die man dann über die Steppe streute; du hast in den Kellern gestöhnt und geblutet, du hast deine Kameraden sterben sehen für einen Wahnsinn ohne Beispiel, du hast diese Straße nach Pitomnik gekannt, die Straße, auf der mehr als 20.000 Leichen lagen … und was habt ihr getan? Habt ihr die Waffen hingeworfen, eure Offiziere, die vom Durchhalten redeten, an die Wand gestellt, habt ihr Schluß gemacht mit diesem Sterben, seid ihr aus den Kellern, Löchern und Gräben gekrochen, die Hände hoch, und habt gesagt: Brüder dort drüben, laßt uns aufhören mit dem Zerfleischen!
    Habt ihr das getan?
    Nein. Ihr habt weitergeschossen und seid weiter gestorben. Bis zur letzten Patrone! Bis zum letzten Zucken der Hand. Bis zum letzten Seufzer. Ihr seid das geworden, was in Deutschland von jeher als Höchstes galt und doch am billigsten war: Helden! Ihr habt dafür gesorgt, daß eure Witwen und Mütter in ›stolzer Trauer‹ um euch weinten. Ihr habt den Wahnsinn zu einem Gott gemacht. Ihr seid in dieser Stadt abgeschlachtet worden, stur wie die Hammel … 230.000 Mann.
    Vater, deine Briefe haben Brandflecken in meiner Seele hinterlassen … aber jetzt, wo ich auf dem gleichen Land stehe, auf dem du gestorben bist, Vater, jetzt verstehe ich dich nicht mehr … Was muß das für eine Zeit gewesen sein, in der ein Mensch wie du aufhörte, klar zu denken? Welches Gift hattet ihr alle eingesogen? Wart ihr noch Deutschland?
    Vater, verzeih mir … uns trennt mehr als ein Vierteljahrhundert …
    »Sascha –«
    Bodmar zuckte zusammen. Die Vergangenheit versank … die Steppe war wieder voll von blühenden Gräsern, über die der warme Wind strich. Das Land war schön und ewig und weit und stärker als alle Kriege. Da war der Himmel, so unendlich und unbegreiflich, wie er sich nur über einer russischen Steppe wölben kann … und da war Njuscha,

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