Liebe am Don
Borja Ferapontowitsch. Ein wahres Unglück! Aus einem Schwanzhaar des Satans muß er entsprossen sein, anders ist's nicht zu erklären! Wo wird man ihn begraben?«
»Da gibt es zwei Möglichkeiten.« Der alltägliche Vortrag Borjas begann, bei dem die Hinterbliebenen weich wurden wie Ziegenbutter im Sommer und ihm hinterher weinend um den Hals fielen, ihn küßten und liebes Brüderchen nannten, auch wenn sie zehn oder fünfzehn Rubel mehr bezahlen mußten. »Man kann ihn in der Reihe verscharren wie die gewöhnlichen Genossen. Ein Meter Zwischenraum der nächste. Reihe hinter Reihe wie die Soldaten. Stramme Haltung im Grab. War Großväterchen Soldat?«
»Weiß ich das?« Die Volkowa spürte eine ungewohnte Wärme für den verblichenen Alten in sich aufsteigen. »Sicherlich war er Soldat. Vielleicht Kosak beim Zaren? Er war ja so alt wie eine Schildkröte.«
»Ein Kosak?« sagte Borja, legte die Schaufel wie ein Gewehr beim Präsentieren an und stand stramm. Das wirkte immer – die Hinterbliebenen taten dann einen Seufzer und begriffen erst jetzt, welch einen Schatz sie verloren hatten. »Ein Kriegsheld? Und dann in der Reihe! Genossin, das ist unwürdig! Aber da gibt es eine zweite Möglichkeit, Mütterchen: Man kann ihm ein schönes Einzelgrab geben, unter einem Baum, wo im Frühling sich die Vögel paaren, im Sommer die Jungen zwitschern, im Herbst die Winde rauschen und im Winter der Schnee wie ein Dach in den Zweigen hängt. Das wird ihm gefallen, dem alten Iwan Feodorowitsch. Nur kostet es fünfundzwanzig Rubel extra. Verwaltungsgebühren, Mütterchen.«
»Fünfundzwanzig Rubel?« Die Volkowa hieb sich mit der Faust an die Stirn. »Dieser alte Bock! Noch starr und steif heizt er uns die Hölle ein. Aber was sein muß, muß sein. Nehmen wir das Einzelgrab, Borja –«
Sie sprachen noch einmal alles durch, was nötig war, um den Alten in das Grab zu legen, während Bodmar hinüber zur Verwaltung ging. Sie war in dem langgestreckten, säulengeschmückten Gebäude untergebracht, diesem Tempel der Toten, einem Prachtbau von klassischer Schönheit, in dem die Toten komfortabler lagen als sie jemals im Leben gewohnt hatten.
Der Inspektor empfing Bodmar wie einen alten guten Freund. Auch in einem Arbeiter- und Bauernstaat wie der Sowjetunion ist der Beruf eines Totengräbers nicht gerade das Lebensziel für einen strebsamen Genossen. Es gibt andere Möglichkeiten, seine Fähigkeiten zu beweisen, als immer nur Gräber auszuheben und wieder zuzuschaufeln. Maschinell war dieses Problem noch nicht gelöst … das war nur möglich wie bei einem Massenandrang nach dem Schiffsunglück auf der Wolga. Da schob ein schwerer Bulldozer ein riesiges Grab aus der Erde, eine Wanne von zwei Metern Tiefe und so lang, daß man siebenundfünfzig Särge nebeneinander hineinstellen konnte (man hatte mittlerweile siebenundfünfzig Tote aus der Wolga geholt), aber für ein Einzelgrab lohnte sich ein solcher Einsatz nicht. Da war die Handarbeit noch immer das billigste.
»Genosse –«, sagte der Inspektor feierlich, nachdem er Bodmar eine Papyrossa gegeben und ihm sogar einen Stuhl angeboten hatte wie einem angenehmen Besucher. »Ich habe Sie beobachtet. Sie sind ein fleißiger, gewissenhafter, höflicher, beliebter Mensch. So etwas ist selten. Sie sind zu schade als Totengräber. Man sollte Sie dort einsetzen, wo Ihre großen Fähigkeiten ausgenützt werden. Wenn ein Schmied in der Backstube steht … haha, die Brötchen möchte ich sehen!«
Der Inspektor lachte, und Bodmar lachte mit, auch wenn ihm die Angst die Kehle zusammenschnürte.
»Ich werde Sie, lieber Sascha, wie gesagt, dort einsetzen, wo Sie der richtige Mann sind: als Leichenhallenwärter. Sie bekommen eine schöne dunkelgrüne Uniform mit einer Schirmmütze, werden die Trauernden begrüßen, zu den Toten führen, die Witwen und Waisen mit gesetzten Worten trösten, die Toten loben, auch wenn Sie sie gar nicht kennen, aber jeder Mensch hat einige gute Minuten gehabt, auch wenn er sich fünfzig Jahre lang benommen hat wie ein stinkender Hund … kurzum, Genosse, Sie werden unseren Friedhof repräsentieren und den Hinterbliebenen einen Eindruck vom Frieden dieses Ortes vermitteln. Was halten Sie davon?«
»Die Idee ist gut –«, sagte Bodmar zögernd. Vorsicht, dachte er dabei. Als Totengräber bleibst du im Hintergrund … aber als Wärter in grüner Uniform kommst du mit Hunderten in Berührung, und einer könnte darunter sein, der dich erkennt. Die Welt ist klein,
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