Liebe am Don
Inspektor verwunderte, denn beim Eintritt Borjas hatte er sofort an eine zertrümmerte Einrichtung gedacht. »Sascha ist der richtige Mann auf dem richtigen Posten.«
»Sie tragen mir nichts nach, Genosse?« fragte der Inspektor lauernd.
»Aber nein, Inspektor.« Borja blies seinen stinkenden Zigarettenrauch über die Glatze des Beamten. »Wie ist es aber mit der neuen Aushilfe?«
»Wir bekommen sie!« Der Inspektor brach fast in Jubel aus. »Ich habe mit dem Genossen Einsatzleiter der Arbeitsbrigaden von ›Nowo duch‹ gesprochen. Sie schicken uns drei Männer herüber.«
Borja nickte schwermütig. ›Nowo duch‹, zu deutsch ›Neuer Geist‹, war das Irrenhaus in der Nähe von Wolgograd. Die harmlosen Fälle arbeiteten auf Feldern und in Gärtnereien, in Fabriken und beim Straßenbau. Warum nicht auch auf dem Friedhof? Nur muß man da mit der Auswahl der Irren vorsichtig sein … für einen Schwermütigen ist der Daueranblick von Grabsteinen nicht heilungsfördernd.
»Zwei starke Idioten wären mir sehr lieb«, sagte Borja. »Ist so etwas zu haben?«
»Ich werde mit dem Genossen Einsatzleiter sprechen. Ich freue mich, Borja Ferapontowitsch, daß wir uns so gut verstehen –«
An diesem Tag bereits lief das Geschäft mit den Blumensträußen an. Auf dem Friedhof südlicher Teil gab es neun Beerdigungen … neunmal verkaufte Bodmar den gleichen Strauß an die zu Tränen zerfließende Verwandtschaft.
»Was für ein Tag!« sagte Borja zufrieden, als es dämmerte. Er zählte das Geld … es waren dreißig Rubel, und wenn es so weiterging mit dem Geldverdienen, war man in Kürze sogar ein verkappter Kapitalist. »Söhnchen, ich habe noch keinen gesehen, der die grüne Uniform so würdig trägt wie du –«
*
Bei den Volkows herrschte tiefe Trauer, als Bodmar nach Hause kam. Ein Beerdigungsinstitut hatte Großväterchen abgeholt, in einem Sarg, der genau hundert Rubel kostete und die Reisekasse für den Sommer leerte. Hinzu kamen die Anzeige in der Zeitung, die Blumen und Kränze, das Begräbnisessen, der Grabkauf bei Borja – es war ein teurer Tod, den Iwan Feodorowitsch seiner Familie beschert hatte.
»Wir müssen darüber reden«, sagte die Volkowa nach dem Abendessen und trank ein großes Glas Sprudel auf Njuschas gebratenen Fisch. »Das Zimmer von Großväterchen ist nun leer. Melden wir das dem Einwohneramt, setzen sie uns eine ganze Familie hinein. Sagen wir aber, meine Schwester sei gekommen mit ihrem Mann, dann drückt man ein Auge zu. Meine Lieben, ihr könnt das Zimmer des Alten haben, und wir teilen uns die Miete.«
»Das ist wunderbar, Schwesterchen«, rief Njuscha und umarmte die Volkowa. »Nun haben wir wieder eine Heimat.«
»Laß dich auch umarmen, Bruder!« rief Volkow und zog Bodmar an sich. »Wenn wir so bleiben, wie wir sind, können wir miteinander alt werden –«
Das ist ein wahres Wort, dachte Bodmar und erwiderte die Küsse Arkadijs. Wenn wir so bleiben … Was aber geschieht, wenn du erfährst, wer ich wirklich bin?
In der Nacht schliefen Njuscha und Sascha zum letztenmal im Badezimmer. Die Matratze von Großväterchen stand draußen auf dem kleinen Balkon und lüftete aus. Am nächsten Morgen holte Njuscha sie herein, ehe sie zum Krankenhaus fuhr, trug sie ins Zimmer und legte sie in den Bettrahmen.
»Es sieht aus, als wenn du dir ein Nest baust«, sagte Bodmar vom Waschbecken her.
»Es ist ein Nest, Sascha!« Sie warf sich auf die Matratze und breitete Arme und Beine aus. »Hier können wir bleiben, ohne um unser Leben zu zittern –«
So ist der Mensch, Genossen … begeisterungsfähig und dumm. Denn überall, wie zum Beispiel hier in Wolgograd, gibt es einen Rossoskij … und die Rossoskijs sind es, die uns ständig am Zittern halten –
Z WEIUNDDREISSIGSTES K APITEL
In München-Pullach gibt es einen großen Häuserkomplex mit weiten Gartenanlagen, der durch eine hohe Mauer und modernste Alarmanlagen gesichert ist. Durch das große Einfahrtstor kann man nur mit Sonderausweisen diese kleine Stadt betreten, und auch innerhalb der Absperrungen wird jeder kontrolliert, wenn er eines der Gebäude betritt.
Das ist das einzig Auffällige innerhalb der hohen Mauern. Sonst sieht alles aus wie die Verwaltung eines großen Werkes, Büroraum reiht sich an Büroraum, man hört aus den geöffneten Fenstern das Klappern der Schreibmaschinen, im Sommer sonnen sich in der Mittagspause die Stenotypistinnen in den Gartenanlagen, die Männer laufen mit der gleichgültigen Miene von
Weitere Kostenlose Bücher