Liebe am Don
Beamten herum, die nichts erschüttern kann außer die Überschreitung der Arbeitszeit, und doch ist hier eine der geheimnisvollsten Behörden der deutschen Bundesrepublik zu Hause, ein kleines Heer von feinen Ohren und scharfen Augen, eine Dienststelle mit einem im Haushaltsplan der Regierung nie aufgeführten Etat, eine große Familie von Männern und Frauen, aufeinander eingeschworen wie die Freunde auf dem Rütli, mit den modernsten Mitteln und Möglichkeiten ausgerüstet: der Bundesnachrichtendienst. Die sagenumwobene ehemalige Dienststelle Gehlen. Die Spionagezentrale Westdeutschlands. Das Ohr, das alles hört … das Auge, das alles sieht … über Tausende versteckter Ohren und Augen in allen Ländern der Erde.
Die wichtigste Abteilung in diesem großen Komplex der schmucken Häuser ist die Hauptabteilung ›Abwehr Ost‹. Hier sitzen die Spezialisten, die großen Könner, die Dirigenten der Gespenster draußen in Rußland. Was in diesem Riesenreich auch geschieht – die Männer in Pullach wissen oder ahnen es durch die Berichte ihrer Kontaktmänner. Hier wird die Politik auf Generalstabskarten fixiert, hier werden die Worte und Taten der Politiker zerlegt und mit bunten Fähnchen markiert … hier entsteht das Bild einer erschreckenden Wahrheit: Die Welt wird nie zur Ruhe kommen!
Warum das so ist … die Männer in Pullach könnten darauf eine Antwort geben. Aber sie schweigen. Stille ist ihr Geschäft. Sie reden nur, wenn die Welt beginnt, verrückt zu werden, … wie damals am 20. August 1968, als die sowjetischen Panzerarmeen die Tschechoslowakei überfielen und die Welt am Rande einer Panik stand. Damals wußten die Männer in Pullach genau, was geschehen würde … sie sagten nicht nur den Tag, sondern sogar die Uhrzeit des Überfalls voraus.
Gespenster, die alles wissen, alles hören, überall gegenwärtig sind. Ein ewiger Krieg im Zwielicht. Lautlos, ab und zu blutig, meistens von allen Seiten stillschweigend zugedeckt.
Es gibt keine Berufsgruppe, die so viel Achtung voreinander hat wie die Spione.
In der Hauptabteilung ›Abwehr Ost‹ saßen an diesem Tag der Chef der Abteilung, Generalmajor Richard Bollweiß, und sein Stellvertreter, Oberst Alf von Braun, zusammen. Sie rauchten, tranken Orangensaft, denn der Mai war warm wie selten, und studierten die Berichte, die aus Bonn eingetroffen waren.
»Was halten Sie davon, von Braun?« fragte Generalmajor Bollweiß und warf den Bericht aus dem Außenministerium auf die Tischplatte. »Was dieser Reiseleiter Heppenrath da erzählt, kann wahr sein, aber auch eine raffinierte Falle, in die man uns hineinlocken will. Ich habe ein ungutes Gefühl.«
Oberst von Braun schüttelte den Kopf. Er war der Taktiker der Abteilung, ein feingeistiger Mensch mit dem Schädel eines Künstlers. Seine zartgliedrigen Hände holten aus einer roten Mappe einige Schriftstücke und breiteten sie auf dem Tisch aus.
»Wir haben das Material fast lückenlos zusammen, Herr General«, sagte er. »Eberhard Bodmar, Journalist aus Köln, geboren am 4. Juli 1936. Reiste mit einer Sondererlaubnis des sowjetischen Informationsministeriums nach Rußland, um auf den Spuren seines bei Stalingrad gefallenen Vaters das heutige Rußland zu erleben und darüber zu berichten. Verschwand plötzlich mit seiner ihm vom KGB beigegebenen Dolmetscherin Jelena Antonowna Dobronina bei dem Dorf Perjekopsskaja spurlos in der Donsteppe. Die sowjetische Propaganda beschuldigt seither Bodmar, die Dobronina getötet zu haben und flüchtig zu sein, um für uns in Rußland zu spionieren. Bisher war alles Suchen erfolglos. Es könnte also wirklich Bodmar gewesen sein, der in Wolgograd im Hotel ›Intourist‹ mit dem Reiseleiter Heppenrath gesprochen und Grüße an seine Freunde in der Redaktion bestellt hat.«
»Könnte. Das ist es.« General Bollweiß überlas die Blätter, die von Braun vor ihm ausgebreitet hatte. »Die Sache kann aber auch anders herum laufen.«
»Der Brief, den Heppenrath mitgenommen und bei der Kölner Redaktion abgeliefert hat, ist wirklich von Bodmars Hand geschrieben. Hier ist er.«
Bollweiß starrte die wenigen Zeilen auf dem billigen Schreibpapier an.
»Ihnen brauche ich nicht zu sagen, wie täuschend ähnlich man Schriften nachahmen kann …«
»Aber der Bericht, den Heppenrath von Bodmar mitgebracht hat. Der Zweikampf dieser verrückten Weiber, den Jelena Antonowna verlor, die Flucht nach Wolgograd, als unser Freund Tumow auftauchte, diese verrückt-tragische Verstrickung
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