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Liebe am Don

Liebe am Don

Titel: Liebe am Don Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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darf doch bei Tag nicht aus dem Grab kommen.«
    »Aber er ist fort. Borja, er ist nicht mehr hier.«
    »Der einsame Wolf. Ja, er ist wie der einsame Wolf.« Borja streckte die Arme aus und half Njuscha, aus der Gruft zu klettern. Als sie oben auf der Erde war, warf sie die Arme um seinen Hals und weinte. Ihr langes, seidiges Haar roch nach Schimmel und war glitschig wie nasse Seife. »Sei still, Töchterchen«, sagte Borja und streichelte sie. »Sei still. Er kommt wieder. Er mußte hinaus, wer kann das nicht verstehen? Wie kann ein Mann wie Sascha in einem Grab leben?«
    »Sie werden ihn erkennen und erschlagen. Borja … sie werden ihn einfach erschlagen wie eine Ratte –«
    »Das weiß man nicht, Töchterchen.« Er drückte Njuscha an sich und blickte über ihren Kopf und das nach Verwesung riechende Haar hinweg zu den langen Gräberreihen rechts und links vom Hauptweg.
    Was soll man ihr sagen, dachte Borja. Wie kann man sie trösten, ohne zu dick in den Lügen zu stampfen? Wie kann man sich selbst belügen?
    Er tat es auf die einfachste Art. Er sagte: »Warten wir ab, Njuscha. Wenn Sascha zurückkommt, wird er uns alles erzählen.«
    »Er kommt nicht mehr zurück, Borja –«
    »Wie kannst du das sagen? Nicht zehn Teufel hielten ihn fest, so liebt er dich.«
    »Ein Teufel genügt … Rossoskij.«
    Das Abendrot hatte den Friedhof erreicht. Wie Blut floß das Licht über die Gräber und schien in ihnen zu versickern. So ernähren sich die toten Seelen, hatte Borja manchmal gedacht, wenn er dieses Gluten über den Gräbern betrachtete und sich auf seinen Spaten stützte. Wenn es Unsterblichkeit gibt – hier trinkt sie sich satt. Jetzt kam ihm diese blutende Sonne wie ein Zeichen vor, und er schauderte zusammen. Njuscha spürte das schnelle Zucken seines Körpers.
    »Du hast auch Angst …«, stammelte sie und klammerte sich an Borja fest. »Auch du hast Angst. Gib es zu, Borja … du zitterst vor Angst um Sascha –«
    »Ach was, ach was!« brummte Borja. Er bemühte sich, seine heftige innere Erregung zu unterdrücken, und das gelang ihm nur, wenn er grob sein konnte. »Warum sollen wir uns fürchten?« schrie er. »Vor wem denn, he? Wer weiß, warum es Sascha nicht mehr ausgehalten hat und wohin er gelaufen ist? In Teufels Namen, wir sollten uns nicht benehmen wie Fischweiber, denen ein warmer Wind den Fisch verdirbt. Warten wir es ab.«
    Zwei Stunden saßen sie hinter der offenen Gruft der Shukendskijs im Schatten der Büsche und starrten auf den Eingang des Friedhofs. Die Beamten der Verwaltung verließen das prunkvolle Hauptgebäude, der Nachfolger des verhafteten Inspektors, ein widerlicher Mensch, der Borja verbot, hinter den Särgen zu schlafen, und der auch nicht bestechlich war, was Borja überhaupt nicht verstand, kontrollierte die Werkzeuge der Totengräberbrigade und meckerte herum. Bis zur Gruft hörte man seine schrille, unangenehme Stimme. Er hatte gleich bei seinem Amtsantritt angeordnet, daß alle Werkzeuge am Abend sauber geputzt und militärisch ausgerichtet an der Wand der Leichenhalle aufgestellt werden müßten, »denn«, so brüllte er die Totengräber an, »die Mißhandlung der Werkzeuge ist Sabotage am Volksvermögen!« Borja hatte daraufhin seine Werkzeuge mit ausgegrabenen uralten Totenschädeln und Knochen verziert … vor jedem Spatenblatt ein Schädel, vor jeder Hacke zwei gekreuzte Knochen. Der neue Inspektor hatte durch die Nase geschnauft wie ein erregter Bulle und war davon gerannt. Aber die Kontrolle behielt er bei … jeden Abend vor Dienstschluß schritt er die Front der Werkzeuge ab. Erst dann war die Totengräberbrigade entlassen.
    »Jetzt ist es dunkel –«, sagte Njuscha leise. Sie kroch an Borja heran wie ein ängstliches Hündchen.
    »Und jetzt wird er auch bald zurückkommen.«
    Borja war kein Prophet. Er sagte es nur, um sich selbst zu beruhigen … aber dann sahen sie plötzlich einen Schatten vom neuen Teil herangleiten, über die Mauer mußte er sich geschwungen haben, und ehe Borja sie festhalten konnte, rannte Njuscha ohne jede Vorsicht diesem Schatten entgegen und breitete die Arme aus.
    »Wo warst du?« fragte Borja, als Bodmar am Rande der Gruft saß und die Beine in die modrige Tiefe baumeln ließ. Sie aßen die Bratheringe, die Borja besorgt hatte, und tranken aus seiner Thermosflasche Tee.
    »Ich weiß jetzt, daß man aus Angst wahnsinnig werden kann …«, sagte Njuscha. Noch immer zitterte ihre Stimme.
    »Ich war beim Ehrenmal.« Bodmar wischte die

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