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Liebe am Don

Liebe am Don

Titel: Liebe am Don Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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fettigen Finger an seiner Hose ab. Dabei blickte er über die langen Gräberreihen und fühlte sich mit den Tausenden unbekannter Toter merkwürdig verwandt. »Ich habe Deutsche getroffen. Eine deutsche Touristengruppe.«
    »Ach!« Borjas Kopf mit dem wilden, struppigen Bart fuhr herum. Seine Bärenaugen musterten Bodmar kritisch. »Und für so einen Blödsinn bringst du dich und Njuscha in Gefahr? Man hätte dich erkennen können.«
    »Niemand hat mich erkannt. Ich bin mit dem Omnibus und der Straßenbahn durch die Stadt gefahren. Mitten unter der Masse der anderen. Es ist völlig gefahrlos.«
    »Und was wolltest du von den Deutschen?«
    Bodmar schwieg lange auf diese Frage. Ja, was wollte ich eigentlich, dachte er. Ich wollte Heppenrath wiedertreffen, wollte hören, was die Kollegen in Köln sagen. Vielleicht hatte er auch Briefe bei sich … Was wollte ich wirklich bei diesem Wiedersehen?
    Njuscha sprach aus, was er vor sich selbst nicht zugab.
    »Du willst zurück nach Deutschland, Sascha?«
    »Jetzt nicht mehr.«
    »Aber du wolltest es.«
    »Ja, mit dir, Njuscha … nur mit dir –«
    »Ich wäre nie mitgegangen, Sascha.«
    »Du kennst Deutschland nicht.«
    »Man kann nicht den Don verlassen, um in einem anderen Land zu leben.«
    »Und wenn wir weiter nach Sibirien müssen?«
    »Auch Sibirien ist Rußland, Sascha. Es ist derselbe Himmel …«
    »Er ist es auch in Deutschland.«
    »Nein. Unser Himmel ist anders. Man kann es nicht erklären, Sascha, man muß es spüren. Habt ihr einen Himmel, in dem die Sonnenblumenfelder ertrinken? Einen Himmel, der die Steppe aufsaugt? Einen Himmel, aus dem die Ströme sich ergießen und der sich über die Wälder wölbt wie eine blaue gläserne Glocke? Kein Land der Erde hat diesen Himmel.«
    »In Deutschland ist alles anders als hier, das stimmt.« Bodmar faltete die Hände. Er preßte die Finger so hart ineinander, daß seine Knöchel weiß wurden. »Soll ich es dir erklären, Njuscha.«
    »Ich will es nicht hören, Sascha. Ich liebe Deutschland nicht, ich werde es nie lieben, – aber ich liebe dich. Mein Gott, was soll nur aus uns werden?« Sie lehnte den Kopf an seine Schulter und legte ihre Hand über seine kalten Finger. »Was haben deine Deutschen erzählt?«
    »Sie können uns herausholen.«
    »Wieso herausholen? Was heißt herausholen?« Borja mischte sich ein … er knurrte wie ein hungriger Hofhund. Hätte er ein Fell gehabt, es wäre jetzt gesträubt gewesen. »Njuscha und dich braucht niemand herauszuholen. Eure Heimat ist hier.«
    »Der Friedhof? Die Gruft der Shukendskijs?«
    »Es kommen auch noch andere Zeiten. Ihr habt alle nicht warten gelernt. Laß den Sommer verstreichen, dann kümmert sich niemand mehr um euch. Es wird doch möglich sein, in unserem Riesenland zwei Menschen zu ernähren.«
    »Drei Menschen.« Bodmar legte dem Alten die Hand aufs Knie. »Du kommst mit, Borja.«
    »Nein. Ich bleibe bei den Toten. Ich habe mich an sie gewöhnt.« Borja schüttelte heftig den Kopf. »Was soll ich sonst tun? Bäume fällen, Felder pflügen, Gras in der Steppe schneiden, die Pferdeherden hüten, vielleicht sogar einen Hühnerstall beaufsichtigen? Ich würde kotzen vor Langeweile. Nein, ich gehöre auf den Friedhof. Jeden Tag andere Tote, und über alle lasse ich mir ihr Schicksal erzählen. Sag mir einen zweiten Beruf, der so abwechslungsreich ist wie ein Totengräber.«
    »Und was wird jetzt?« fragte Njuscha, als Bodmar keine Antwort mehr gab. Minutenlang saßen sie nun stumm an der offenen Gruft. »Müssen wir uns trennen, Sascha?«
    Ihre Stimme war von einem merkwürdigen kindlichen Klang. Bodmar fuhr herum und riß Njuscha in seine Arme.
    »Um Gottes willen, nein – nein! Wir wollen nie mehr darüber sprechen! Wir wollen vergessen, daß es ein Deutschland gibt –«
    »Das wird dir nicht gelingen.« Borjas tiefe Stimme zerriß die Verzauberung, die über Bodmar und Njuscha gefallen war, als sie sich in die Augen blickten. Sie fuhren erschrocken herum. »Du kannst weglaufen, Sascha, bis in den äußersten Winkel Sibiriens … Deutschland wird dir nachkommen, wie Rußland einem Russen nachkommt, wo immer er auch lebt. Du vergißt deine Seele, mein Freundchen.«
    »Ich habe Njuscha … mehr brauche ich nicht auf dieser Welt.«
    »Welche Bescheidenheit.« Borja trank mit lautem Schmatzen seinen Tee. Dann rülpste er so laut, daß es über den ganzen stillen Friedhof zu hören war. »Du müßtest ein Russe sein.«
    »Ich will einer werden.«
    »Wenn man einen

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