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Liebe am Don

Liebe am Don

Titel: Liebe am Don Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sie eine zweite heilige Tafel.
    Ifan Matwejewitsch drückte ihr die Augen zu, ließ sie in der Ecke sitzen, rannte zurück zur Kirche und läutete die Totenglocke. Niemand fragte mehr, wem das Läuten galt, aber jeder ging zu Kolzows Haus, zog an Evtimia vorbei, warf eine Blume auf den Tisch vor ihr und zerdrückte eine Träne. Nur der Sargmacher Tutscharin wurde dienstlich. Er streichelte der Leiche über die eiskalten Wangen, drängte dann die anderen Leute aus dem Zimmer und schloß die Tür. Nur Kotzobjew, der Metzger, blieb zurück.
    »Was nun?« fragte er ahnungsvoll.
    »Ich muß sie ausmessen.«
    »Zum Teufel, gibt es keine einheitliche Größe?«
    »Wollt ihr sie in einer Kiste begraben wie einen Hund?« rief Tutscharin und holte einen Zollstock aus der Hosentasche. Er klappte ihn auf und begann die sitzende Tote abzumessen. »Am besten, wir legen sie auf den Tisch«, sagte er und klapperte mit dem Zollstock. »Dieses Winkelmessen ist nie genau. Und sie soll doch einen schönen Sarg haben, den schönsten, den ich je zusammengebaut habe. Ein silbernes Palmenblatt wird auf dem Deckel kleben, jawohl. Ich habe es noch von Awdeij Michejewitsch Kruschenkow … zu Lebzeiten hat er's bei mir bestellt, aber hinterher wollte die Witwe es nicht bezahlen. Da hab ich's wieder abmontiert. Nun schenke ich es Evtimia.«
    Sie legten die Tote auf den langen Tisch, Tutscharin maß die Länge und notierte sich die Zahl.
    »Die Breite nicht?« fragte Kotzobjew. Er wandte sich von Evtimia ab … er konnte sie nicht mehr ansehen, wie sie da auf dem Tisch lag. Auch ein Metzger hat ein Herz.
    »In die Breite kommen sie immer hinein.« Tutscharin häufelte mit beiden Händen die Blumen der Nachbarinnen über den Leib der Toten. »Nur einmal hatten wir Schwierigkeiten. In der Lehre war ich, in Kalatsch, da starb eine Frau an einem Schlaganfall. Der Genosse Meister ruft an, läßt sich vom Witwer die Länge geben, wir erscheinen mit dem Sarg, und was soll ich dir sagen: Die Tote war so dick, daß der Sarg unter ihr verschwand. Gab das ein Theater! Der Witwer brüllte: ›Ich habe keinen Sarg für einen Zwerg bestellt!‹ und der Meister schrie zurück: ›Man hätte mich unterrichten müssen, daß ein Nilpferd begraben wird!‹ Da ging es hoch her, sie prügelten sich vor dem Sarg, aber später wurden sie sich einig und tranken noch einen Wodka zusammen. Jeder Witwer ist ein bißchen nervös, man muß das in Rechnung stellen. Plötzlich ist so ein Mensch allein, die Frau ist weg, man kann alles tan, was früher verboten war … so etwas verwirrt. Nein, nein …« er beugte sich über Evtimia und tätschelte ihr wieder die Wange. »Sie hat keine Schwierigkeiten. Sie hängt nicht über …«
    »Zurück!« Kotzobjew riß Tutscharin vom Tisch. Sein Gesicht lief hellrot an. Er keuchte und schüttelte den Sargmacher wie eine Flasche Obstsaft. »Kein Gefühl hat der lausige Kerl, kein Gefühl!«
    Tutscharin befreite sich aus dem harten Griff und wischte sich die Schweißperlen von der Stirn. »Wenn sie so daliegen, sind sie nur Kunden!« schrie er. »Sie haben das Recht, korrekt behandelt zu werden. Erzählst du deinen Ochsen Märchen, bevor du ihnen die Knochen zerhackst? Jeder Beruf hat seine äußere Form.« Er rannte zur Tür, riß sie auf und winkte den draußen Wartenden zu. Es waren mittlerweile über vierzig Nachbarn, die in den Wohnraum drängten. »Unsere arme gute Evtimia!« rief Tutscharin und warf beide Arme hoch. »Wir alle hatten sie gern. Wir begraben sie am Sonnabend. Kommt alle, meine Freunde … ihr werdet den schönsten Sarg des Jahrhunderts sehen.«
    »Selbst die Toten spannst du propagandistisch ein«, knurrte Kotzobjew und stieß Tutscharin aus Kolzows Haus.
    »Was bleibt mir anderes übrig? Zu dir kommen sie täglich, denn Hunger hat jeder Mensch. Wann aber stirbt schon einer am Don? Ich habe einen Mistberuf, Genosse. Wenn das so weitergeht, muß ich Gott anflehen, eine Epidemie zu schicken.«
    Drei Stunden lang zogen die Bauern von Perjekopsskaja durch das Totenhaus und deckten Evtimias Körper mit Feldblumen zu … dann wandelte Vater Ifan mit seinem großen Kreuz heran und vertrieb alle aus dem Zimmer. Nur er und der Vorsänger Nummer zwei der Gemeinde, der tiefe Baß Russian Jefimowitsch, blieben bei der Toten. Ihre Gesänge tönten bis zum Abend durch die Fenster und über den Flechtzaun hinaus auf die Straße.
    O Herr, segne ihre Seele.
    Auf der Schwelle des Hauses saß der alte Babukin und weinte. Er hatte den

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