Liebe am Don
merkwürdig für Jelena Antonowna. Sie hatten sich auch nicht mehr geküßt, seit dem Tode des dicken Talinkow auf seiner Datscha bei Tula. Vielleicht muß ich anders sein, dachte Jelena manchmal, wenn Bodmar vor dem Wagen die Gegend fotografierte. Wie würde er reagieren, wenn er gleich zurückkäme und ich läge nackt vor ihm auf den Sitzen? Wie würde er sich benehmen, wenn ich morgen nackt im Schlafsack an ihn herankröche und meine Hände und meine Lippen ihm sagten, was ich will?
Aber dann zog sie sich wieder zurück wie eine Schnecke in ihr Haus. Der Gedanke, er könnte sie zurückstoßen, er könnte sie auslachen, war wert eines Mordes aus Enttäuschung und Haß.
Es war um 9.38 Uhr – Bodmar sah zufällig auf seine Armbanduhr – als sie von der Straße, die nahe am Ufer des Don entlangführte, unten am Strand ein Mädchen sahen.
Sie hatte mit den Beinen einen alten, windschiefen wilden Kirschbaum umklammert, und ihre Arme, weit vorgestreckt, hielten ein Seil. Auf dem wilden, lehmgelben, schnaufenden Don tanzte ein breites, flaches Boot, wurde von den starken Wellen mitgerissen, schlug voll Wasser und wurde nur von dem Strick festgehalten, den sich das Mädchen um die Unterarme gewickelt hatte. Sie zog daran, ihr Keuchen und Stöhnen wurden vom Brausen des Don übertönt, aber man sah die Not in ihrem Gesicht und die Angst, die Kraft zu verlieren. Den Strick um den Baumstamm zu wickeln, gelang ihr nicht … der Sog des Flusses an dem Boot war so wild, daß das Mädchen nur die Möglichkeit hatte, mit den Armen gegen die Gewalt des Don zu kämpfen. Um nicht selbst mitgerissen zu werden, umklammerte sie den Baum.
Bodmar zeigte auf den verbissenen Kampf und riß noch während der Fahrt die Tür auf. »Anhalten!« schrie er. »Jelena … der Fluß reißt dem Mädchen die Arme vom Körper!«
Das Kreischen der Bremsen klang hinunter bis zu der Kämpfenden. Sie warf den Kopf herum, die langen blonden Haare wehten wie Stroh im Sommerwind über ihr verzerrtes, schweißnasses Gesicht.
»Hilfe!« schrie sie hell. »Hilfe! Ich kann ihn nicht mehr halten!«
Bodmar hetzte den Hang hinunter, stolperte, fiel, rollte ein paar Meter und kam kurz vor dem Mädchen zum Stehen. Mit zwei Sprüngen war er bei ihr, ergriff den Strick und zog mit aller Kraft.
Aber der Don war stärker. Seine Wellen rissen das Seil aus Bodmars Händen, zerschrammten ihm die Handflächen, die Flechtwülste des harten Hanfes waren wie grobe Messer, die die Haut aufschlitzten. Plötzlich war das Seil blutverschmiert, und das Mädchen schrie qualvoll auf.
»Keine Angst!« knirschte Bodmar. Er sah sich nach Jelena um … sie rutschte auf dem Hosenboden den Hang hinunter und ließ sich viel Zeit. »Wir gönnen dem Fluß nicht das Boot. Wir ziehen es an Land. Noch einmal –«
Er griff wieder zu, stemmte die Beine schräg gegen den Fluß in den Ufersand, legte sein ganzes Gewicht in den Zug, seine Lungen schienen zu platzen, und am Hals schwollen die Adern zu dicken Bändern … aber das Seil bewegte sich, das Boot durchschnitt die donnernden Wellen, gab um einen Meter nach, überwand den Don und dessen Kraft um einen Schritt breit … aber es genügte, um das Mädchen vom Strick zu befreien und das Ende des Seiles zweimal um den alten Kirschbaum zu schlingen.
Hier half Jelena mit. Zu dritt stemmten sie sich gegen den Sog des Flusses, das Boot wurde förmlich über die Wellen und gegen die Strömung gerissen, und dann war es sicher, solange der Strick hielt.
Schwer atmend lehnte sich Bodmar an den Baum. Das Mädchen war auf die Knie gesunken, ihr blondes Haar bedeckte sie völlig. Die Finger, von der Anstrengung fast gelähmt, gruben sich in den nassen Ufersand, als suchten sie Kühlung. Jelena stand hinter Bodmar und blickte böse und düster über den Don.
»Ein altes, schlechtes Boot«, sagte sie. »Dafür diese Mühe.« Sie nahm die Hände Bodmars, drehte die Handflächen nach oben, sah entsetzt die zerfetzte Haut und riß ihre Bluse vom Körper. In ihrer Erregung wickelte sie beide Hände damit ein und fesselte Bodmar so wie mit einer Handschelle.
Das Mädchen hob den Kopf. Große, blaue, runde Augen sahen Bodmar dankbar an. Das Gesicht eines Engels, durchfuhr es ihn. Mein Gott, hier am Don kniet ein Mädchen, das man sonst nur auf den Gemälden alter italienischer Meister sieht. Madonnen in den Kirchen Roms, Engel in den Deckenfresken des Petersdoms … und jetzt hier im Ufersand, in der Steppe vor Stalingrad … in einem von der Sonne
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