Liebe auf Dauer
überlässt. Ich brauche einen Partner, der nicht nur etabliert, sondern auch ein bisschen verrückt ist, so wie Frank. Allerdings: Mich manchmal etwas mehr fallen lassen können, das täte mir schon gut! Und das fällt mir nicht so leicht!« Frank wiederum merkte, dass seine Männlichkeit ohne seine Musik und seine etwas instabile Lebensweise einfach eine kastrierte Männlichkeit wäre. Er merkte allerdings an der Faszination Ursulas von ihrem Kollegen auch, dass er ihr bisher zu wenig von dem angeboten hatte, wonach sie sich sehnte: Stabilität. Nicht Stabilität im materiellen Sinn, sondern Beziehungsstabilität, Intensität und Verlässlichkeit in der Qualität seiner Zuwendung … Dieses Thema erlebte er als die eigentliche Herausforderung ihrer Dreiecksgeschichte.
Daniela wiederum war durch ihre Erkrankung damit konfrontiert, nicht mehr die Starke sein zu können, weder in der Beziehung noch für ihr eigenes Leben. Daran ging ihr auf, dass sie das bisher immer wieder sein musste: die Starke und Tüchtige, die die Mutter stützte, sich um die kleineren Geschwister kümmerte und auch den Leistungsanforderungen des Vaters gerecht wurde. Hingegen war Ludwig damit konfrontiert, nun eine Rolle einnehmen zu sollen, die er aus seiner Herkunftsgeschichte gar nicht kannte und nicht eingeübt hatte: die Rolle des Gebenden, Fürsorglichen, Starken, Stützenden. Diese Rolle hatte in seiner Familie allein seine Mutter für alle übrigen Familienmitglieder eingenommen, wogegen er zwar Widerstand geleistet hatte, was aber noch nicht ausreichte, sich diese Seiten selbst anzueignen. Die Krankheit Danielas war dann die entscheidende Herausforderung, seine eigenen Stärken zu entdecken und ihnen mehr und mehr Zutrauen zu schenken.
Lebenskrisen konfrontieren uns unausweichlich mit eigenen zentralen Lebensthemen. Häufig entdecken Paare – ähnlich wie hier vor allem im ersten Fall geschildert –, dass sie ihre Beziehung unbewusst so arrangiert haben, dass sie sich diesen Lebensthemen nicht stellen mussten. Der/Das »Dritte«, das sich in der Krise »einmischt«, bringt sie wieder zum Vorschein. Die Chance, die sich hier eröffnet, ist nun die, die Beziehung so neu zu gestalten, dass die Partner sich gegenseitig nicht mehr darin unterstützen, diese Lebensthemen abzuwehren, sondern darin, sie neu aufzugreifen und konstruktiver mit ihnen umzugehen.
Ulrike wird Friedrich nicht mehr einfach machen lassen, sondern sie wird ihn fordern, wenn er ganz in seiner Karriere abtaucht. Damit hilft sie ihm, in seinem Streben nicht mehr »beziehungslos« zu werden. Friedrich seinerseits wird Ulrike unterstützen und ermutigen, wenn sie sich einen neuen Job sucht oder eine Umschulung macht, damit sie in ihrer Fürsorge für alle nicht mehr sich selbst vergisst. Frank wird Ursula wieder öfter vom Schreibtisch holen, sie in seine Welt der Musik mitnehmen und ihr auf diese Weise seine Stärke zeigen, und Ursula wird es zulassen und sich ihm anvertrauen und so ihrer Sehnsucht, sich auch mal anzulehnen, nachgeben können. Und Ludwig wird sich durch die Krankheit Danielas immer wieder herausgefordert fühlen, die Hilflosigkeit des kleinen Jungen in sich zu überwinden und der Starke und Stützende zu sein, den sie in ihrer Situation jetzt so nötig braucht.
»Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden«: Paare, die Krisen so miteinander angehen, machen die Erfahrung, dass dieser Satz in Hesses Gedicht wirklich stimmt. Auch in schweren Belastungen und Bedrohungen kann zusätzliche Lebensqualität gewonnen werden, wenn wir uns der Herausforderung stellen. Und was ich bereits sagte, möchte ich hier nochmals betonen: Im gemeinsamen Umgehen mit der Krise in diesem Sinn vertieft sich die Partnerliebe, weiluns das Dunkel des Tales, das wir gemeinsam durchschritten haben, das Licht nachher umso heller erleben lässt.
Einwände
Ist es nicht zynisch, einem Paar, das gerade mitten in der Krise steckt, das unter der schweren Erkankung eines Partners leidet, dem eines der Kinder große Sorgen bereitet, das von einer Außenbeziehung durcheinandergeschüttelt wird oder dem der soziale Abstieg droht und dergleichen, dem weismachen zu wollen, dass darin eine »Entwicklungschance« liegt?
Es ist zynisch, wenn ich das ohne Einfühlung mache. Zur Einfühlung gehört, dass ich – zum Beispiel als Berater oder Freund, der damit zu tun bekommt – zunächst mit den Gefühlen mitschwinge, die diese Krise bei den Partnern auslöst. Das beginnt damit, dass ich mir
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