Liebe auf Dauer
und andererseits für Friedrich, nun seinen Teil der Solidarität und Unterstützung in die Beziehung einzubringen, den er ihr bisher vorenthalten hat. Für ihn wird die Krise zum Anstoß, mehr in die Beziehung zu investieren, für sie, mehr für ihre Eigenständigkeit und Autonomie zu tun. Dies schafft – trotz der schwierigeren äußeren Situation – eine neue Gemeinsamkeit und Nähe zwischen den beiden, mehr als sie es in den letzten Jahren erlebt haben.
Ursula und Frank
Dass Frank durch die Außenbeziehung seiner Frau Ursula zu ihrem etablierten Rechtsanwaltskollegen in eine tiefe Selbstwertkrise gestürzt wird, dass er voll Wut und Verzweiflung ist – nach allem, was er für sie getan hat, ist mehr als verständlich. Frank könnte in Selbstmitleid und Ressentiment abdriften. Aber Frank bleibt zum Glück nicht dabei stehen. Er nimmt das Ereignis zum Anlass, sich mit Ursula auseinanderzusetzen, so intensiv wie schon jahrelang nicht mehr. Er stellt die Frage: »Haben wir bei all den Sorgen um Existenzsicherung und Kanzlei-Aufbau nicht uns und unsere Beziehung aus den Augen verloren? Wo ist unsere anfängliche Begeisterung füreinander geblieben? Meine Faszination von dir als Frau? Dein Schwärmen für mich und meine Musik? Trotz aller äußeren Bemühung und Unterstützung haben wir uns als Paar mit dem, was uns einmal angezogen hat, aus den Augen verloren!« – Die emotionale Erschütterung dieser Krise, die Bedrohung des Bestands ihrerBeziehung machen ihnen einerseits die Erstarrung, in die sie in der Zeit vorher geraten sind, bewusst, andererseits bringt sie die Mauer zum Einsturz, die sie unsichtbar zwischen sich aufgebaut haben, sodass eine neue tiefe Begegnung möglich wird. Das in den letzten Jahren zwischen ihnen »ungelebte Leben« taucht wieder auf, Frank beginnt wieder um Ursula zu kämpfen, und Ursula kann sich nach einiger Zeit der Unschlüssigkeit von ihrem Geliebten lösen und sich neu für Frank entscheiden.
Daniela und Ludwig
Bei ihnen besteht die Krise vor allem darin, dass die bisherige Aufteilung zwischen den beiden, dass nämlich sie die starke und zuversichtliche Daniela ist, die vorangeht, und Ludwig derjenige, der sich bei ihr emotional »anhängt«, durch ihre Erkrankung nicht mehr möglich ist. Sie ist jetzt die Schwache, Hilfsbedürftige, die seiner Unterstützung bedarf. Der Krebs fordert Ludwig somit heraus, seine bisherige Position in der Beziehung zu verlassen. Ludwig muss die Dinge nun seinerseits in die Hand nehmen. Er ist herausgefordert, sich auf seine eigenen Stärken zu besinnen und Zutrauen zu seinen Potenzialen zu finden; und er ist herausgefordert, Daniela zu geben, was bisher hauptsächlich sie ihm gegeben hat: Zuspruch, Trost, Ermutigung. Daniela erfährt dabei, wie gut es auch ihr trotz allem tut, nicht mehr immer die Starke sein zu müssen, und Ludwig spürt, wie er seine eigenen Stärken bisher ausgeblendet und abgewertet hat. Sie entdecken dadurch eine ganz neue Qualität in ihrer Beziehung, die sie trotz allem Schweren sehr bereichert. Er kann auch mal der Starke sein, an den sie sich anlehnt, wie sie es sich schon oft insgeheim gewünscht hat. Auch hier wird die Krise trotz der tödlichen Bedrohung zum Anstoß, bisher ungelebte Lebensmöglichkeiten zu entdecken (vgl. Jellouschek 2002c).
Mit diesen sicher sehr schemenhaft skizzierten Verläufen möchte ich deutlich machen: Häufig ist bei Paaren, die durch unvorhergesehene Lebensereignisse in solch schwere Krisen geraten sind, festzustellen, dass diese Krise beziehungsweise der/das »Dritte«, von dem wir gesprochen haben, in eine Beziehungssituation platzt, die Zeichen von Erstarrung oder – um mit Hesse zu sprechen – von »Erschlaffung« zeigt. Oder anders ausgedrückt: Wird die Krise angenommen, zeigt sich in ihrem Licht, was vorher eher verborgen war, dass die Beziehung bereits zuvor in gefährliche Schieflagen geraten war : Friedrich war der »Kämpfer an der Front«, und Ulrike passte sich ihm ohne eigenes Lebenskonzept an; Frank und Ursula hatten sich ganz und gar in Arbeit und Sorge um ihre Daseinssicherung verbissen, und ihre einstmals große Liebe drohte im Nichts zu versinken; Daniela bot Mut und Zuversicht für zwei auf, und Ludwig hängte sich dran. Mit diesen Schieflagen konnten sie leben, ja sie fielen ihnen gar nicht auf. Wie problematisch diese Beziehungsmuster aber waren, das brachte die jeweilige Krise mit einem Schlag zum Vorschein und machte deutlich: So konnte es nicht mehr weitergehen.
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