Liebe auf Dauer

beides widerspricht ebenfalls eklatant dem, was die beiden »eigentlich« wollten. Irgendwie sind sie entweder in den einen oder in den anderen Straßengraben hineingeschlittert, sind unzufrieden, wissen nicht, wie sie umsteuern sollen, und fangen vielleicht sogar an, sich die Schuld daran gegenseitig zuzuschieben.
    Vielleicht ist das, was sie erleben, unausweichlich. Aber vielleicht hat es auch damit zu tun, dass sie so klar in ihren Zukunftsperspektiven am Anfang gar nie waren. Sie haben wahrscheinlich darüber nie ausdrücklich diskutiert. Sie haben nie wirklich die Konsequenzen des einen Weges oder des anderen Weges bedacht. Sie haben nie wirklich gefragt: Was bedeutet es für mich, die Frau, Kinder zu haben, und was will ich, der Mann, wenn ich Vater werde? Sie haben auch nie überprüft, ob ihre Zukunftsvorstellungen zusammenpassen oder ob sie von Beruf und Familie nicht doch eine recht andere Vorstellung hat als er … Mit anderen Worten: Wenn Paare ohne konkrete und aufeinander abgestimmte Zukunftsvisionen mit den harten Tatsachen an ihren Arbeitsplätzen und in ihrem gesellschaftlichen Umfeld konfrontiert sind, ist es sehr wahrscheinlich, dass sie sich deren Druck beugen müssen, anstatt ihre Lebensvorstellungen tatsächlich verwirklichen zu können.
    Klare gemeinsame Zukunftsbilder ihrer Beziehung sind für junge Paare eine wichtige Gegenkraft gegen die Gefahr der Kapitulation vor den konkreten Verhältnissen undgegen den Sog, in den sie leicht geraten, wenn sie ihr gemeinsames Leben beginnen. Aus solchen Zukunftsbildern könnten auch immer wieder alternative Ideen zu dem geboren werden, was übliche Praxis ist . Ich glaube, dass junge Paare sich dessen viel zu wenig bewusst sind und dass sie darum gemeinsame Zukunftsbilder und -perspektiven viel zu wenig konkret und differenziert ausfantasieren und ausdiskutieren. In dieser Weise auch für das individuelle Leben als Paar und Familie »Visionsarbeit« zu leisten wird für ihre Beziehung eine festigende und solidarisierende Wirkung haben, selbst dann, wenn die konkreten Verhältnisse Abstriche vom eigentlich Gewünschten verlangen und immer wieder Kompromisse nötig machen.
Paare im Alter
    Die Empfehlungen dieses Kapitels, sich gemeinsame Sinnwelten aufzubauen und attraktive Zukunftsperspektiven zu entwerfen, haben heutzutage eine besondere Wichtigkeit auch für Paare in der Altersphase. Aus mehreren Gründen: Zum einen ist die statistische Lebenserwartung heute sehr viel höher als noch vor wenigen Jahrzehnten, und sie steigt weiter kontinuierlich an. Das heißt, dass immer mehr Paare viele Jahre und Jahrzehnte in einer Situation leben, in der dem Engagement, aus dem sie in früheren Phasen hauptsächlich ihre Sinnerfahrung schöpften, nämlich dem Engagement für die Familie und im Beruf, für eine immer kürzere Lebensspanne Bedeutung zukommt. Zum anderen hat sich die gesundheitliche Situation älterer Menschen hierzulande immer mehr verbessert, sodass auch Hochbetagte geistig und körperlich sehr viel länger als früher in einem »guten Zustand« sind. Schließlich sind viele ältere Paare auch finanziell zu viel mehr in der Lage, als es in früheren Jahrzehnten der Fall war. Die Gefahr, dieses Geldhauptsächlich in passiven Konsum zu investieren, ist auch oder vielleicht sogar besonders hier gegeben.
    Es wird auch die Beziehungen alter Paare sehr beleben, wenn sie die Zeit, die Energie und die Mittel, die sie haben, dafür verwendeten, Sinnstiftendes zu verwirklichen. Für ehrenamtliches Engagement im sozialen, kirchlichen, gesellschaftlichen Bereich eröffnen sich in dieser Hinsicht immer mehr Felder, gerade auch dadurch, dass die institutionellen finanziellen Mittel dafür immer knapper werden. Außerdem kann die Erfahrung vieler als »Senior Consultans« Betrieben, Behörden und Organisationen sehr zugutekommen – und alten Paaren über das Genießen dessen, was sie geschaffen haben, hinaus, noch neue Sinnerfahrungen vermitteln und ihr Zusammenleben damit wertvoll erleben lassen.
    Auch das Entwerfen von Zukunftsvisionen hat im Leben alter Paare seinen Platz und seine Funktion. Zwar werden es nicht mehr die nächsten fünf oder zehn Jahre sein, in die sie in ihrer Fantasie vorausgehen, aber die Frage: Wie soll es in drei, in zwei oder in einem Jahr sein, und das in positive Bilder zu fassen, kann auch hier neue Impulse geben und Energie mobilisieren. Natürlich kommt an dieser Stelle – beim Blick in die Zukunft – auch das Ende immer deutlicher