Liebe auf den ersten Biss
dachte nur, dass Ihr vielleicht was trinken wollt«, sagte Abby, schob ihre Kapuze ein Stück zur Seite und hielt ihm ihren Hals hin. »Und ich muss langsam los. Ich muss noch zu Walgreens und dann den Bus nach Hause kriegen, bevor mein Elternteil in seine kritische Phase eintritt. Nur zu. Ich bin bereit.«
Sie schloss die Augen und atmete schwer, als wartete sie auf den Schmerz. »Nimm mich, Flood! Ich bin bereit.«
»Ehrlich?«, sagte Tommy.
Abby machte ein Auge auf. »Ja, wieso?«
»Bist du sicher?« Tommy hatte noch nie eine andere Frau gebissen. Er wusste nicht, ob das vielleicht schon Untreue war. Was wäre, wenn es sexuell so abging wie mit Jody? Eine normale Frau käme dabei wahrscheinlich ums Leben, und außerdem wäre Jody bestimmt nicht begeistert. »Vielleicht ein kleines bisschen vom Handgelenk«, sagte Tommy.
Abby schlug die Augen auf und schob ihren Ärmel hoch. »Natürlich. Damit Ihr nicht das Zeichen des Nosferatu hinterlasst.« Sie sagte es zischend – Nosss-sssss-fe-rrra-tu – wie eine sprechende Schlange.
»Oh, da bleiben keine Narben«, sagte Tommy. »Es heilt sofort wieder.« Er spürte, wie die Gier in ihm wuchs, die spitzen Zähne, die aus seinem Gaumen drängten.
»Wirklich?«
»Oh, ja. Jody hat mich fast jede Nacht gebissen, bevor ich die Seiten gewechselt habe, und drüben im Laden hat keiner was gemerkt.«
»Im Laden?«
Ups. »Im ›Altehrwürdigen Haferschleim- und Blutegel-Kontor‹, in dem ich früher gearbeitet habe, in der guten, alten Zeit.«
»Ich dachte, Ihr seid ein Lord.«
»Also, ja, ich meine … der Laden gehörte mir, samt Leibeigenen und Küchenmägden – von diesen Küchenmägden konnte ich nie genug bekommen, aber hin und wieder habe ich auch mal eine Schicht eingeschoben. Du weißt schon: Haferschleim umrühren, Blutegelbestand prüfen. Leibeigene fressen einem die Haare vom Kopf, wenn man nicht aufpasst. Aber genug vom Geschäft. Kommen wir zur Fütterung.«
Er nahm ihr Handgelenk und hielt es vor seinen Mund, dann stutzte er. Sie sah ihn an, eine Augenbraue mehr oder weniger hochgezogen, mit einem Silberring darin, was noch skeptischer wirkte als bei einer normalen Augenbraue.
Er ließ ihren Arm los.
»Weißt du, vielleicht solltest du lieber nach Hause gehen, bevor du Ärger kriegst. Ich möchte nicht, dass mein Lakai Stubenarrest bekommt.«
Abby schien verletzt. »Aber Lord Flood, habe ich Euch gekränkt? Bin ich denn unwert?«
»Du hast mich angesehen, als wollte ich dich ausnutzen«, sagte Tommy.
»Und das wollt Ihr nicht?«
»Also, nein … Das Ganze ist eine Frage des Gebens und Nehmens, Abby. Ich darf nicht deine Loyalität einfordern, ohne dir Vertrauen entgegenzubringen.« Er konnte gar nicht fassen, was für ein Schwachsinn aus seinem Mund kam.
»Oh, okay.«
»Morgen Abend«, sagte Tommy. »Versprochen: Ich werde dich bluten lassen, bis nur noch ein Daumenbreit Leben in dir ist.« Man glaubt gar nicht, was man manchmal so alles zusammenredet.
Abby schob ihren Ärmel wieder herunter. »Na, gut. Könnt Ihr den Rest allein schaffen?«
»Klar. Vampirkräfte. Dusselinchen.« Er lachte und deutete auf die schweren Bronzestatuen, als wären sie eine Kleinigkeit.
»Also, wenn Ihr mich fragt …«, sagte Abby. »Der Mann und die Schildkröte sind cool, aber die Figur von dieser Frau solltet Ihr lieber loswerden. Sieht irgendwie nuttig aus.«
»Findest du?«
Abby nickte. »Ja. Vielleicht könntet Ihr sie ja irgendeiner Kirche spenden. So als abschreckendes Beispiel, wie Eure Tochter nie werden soll. Oh … verzeiht mir, Lord Flood! Ich wollte nicht ›Kirche‹ sagen.«
»Ach was, geht schon«, sagte Tommy. »Ich bring dich noch zur Tür.«
»Danke«, sagte Abby.
Er folgte ihr die Treppe hinunter, um ihr die Tür aufzuhalten, und dann, im letzten Augenblick, als sie schon gehen wollte, drehte sie sich noch mal um und drückte ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange. »Ich liebe Euch, Lord Flood«, flüsterte sie ihm ins Ohr. Dann wandte sie sich um und rannte den Bürgersteig entlang.
Tommy merkte, dass er rot wurde. So tot er auch sein mochte, er fühlte doch, wie ihm die Hitze ins Gesicht stieg. Er machte kehrt und lief die Stufen hinauf, fühlte die Last der vier-, wenn nicht fünfhundert Jahre seines Lebens. Er musste mit Jody sprechen. Warum brauchte sie so lange, eine Schnapsdrossel und einen fetten Kater zu finden?
Er grub sein Handy aus den Tiefen seiner Tasche hervor und wählte Jodys Nummer. Er hörte es auf dem
Weitere Kostenlose Bücher