Liebe auf den ersten Biss
den Rücken nahm und einen ihrer Füße auf dem Boden schleifen ließ. Was er dann auch tat: die Treppe hinunter, einen halben Block den Bürgersteig entlang und dann die Treppe rauf ins neue Loft. Jody machte einen ganz zufriedenen Eindruck. Die Schildkröte brauchte nur halb so lang. Auch sie schien sich in der neuen Umgebung wohlzufühlen.
Was Elijah betraf, fragte sich Tommy, wieso er eigentlich nicht hin und wieder mal den Umstand nutzte, dass er in einer Stadt am Meer wohnte. Und Elijah hatte ja offensichtlich eine gewisse Affinität zum Meer, denn schließlich war er mit einer Jacht hierher gekommen, die Tommy und die Barbaren in die Luft gesprengt hatten.
Die Statue des Vampirs war noch schwerer als Jodys, doch die Aussicht, ihn bald loszuwerden, verlieh Tommy ungeahnte Kräfte. Nur noch die zwölf Blocks bis zum Meer – dann wäre es vollbracht.
»Dem Meer bist du entstiegen, im Meer sollst du versiegen«, sagte Tommy und dachte, er zitierte Coleridge oder vielleicht auch einen Godzilla-Film.
Während Tommy den bronzierten Vampir die Mission Street hinunterschleppte, dachte er über seine Zukunft nach. Was sollte er nur anfangen? Er hatte reichlich Leerlauf, und sich immer neue Spielarten auszudenken, wie er Jody begatten konnte, wäre vielleicht irgendwann nicht mehr abendfüllend. Er musste einen Sinn im Leben finden. Sie hatten Geld – Bargeld, das der Vampir Jody nach ihrer Verwandlung gegeben hatte, und den Rest aus dem Verkauf von Elijahs Kunstsammlung, aber früher oder später wäre alles aufgebraucht. Vielleicht sollte er sich einen Job suchen. Oder Superheld werden.
Das war es! Er wollte seine Kräfte für das Gute einsetzen. Sich vielleicht ein kleines Rettungsteam zusammenstellen.
Nach einigen Blocks merkte Tommy, dass Elijahs Zeh auf dem Gehweg schleifte und langsam, aber sicher durchwetzte. Die Biker hatten Tommy gewarnt, die Bronzehülle sei ziemlich dünn. Es war keine gute Idee, einen ausgehungerten, unter Platzangst leidenden Vampir loszulassen, wenn man derjenige war, der ihn eingesperrt hatte, also stellte Tommy den Vampir kurz an der Ecke ab und wühlte in einem Mülleimer herum, bis er ein paar stabile, angemessen große Plastikbecher fand, die er als Gleitschutz am Fuß des Vampirs befestigte.
»Ha!«, sagte Tommy. »Das hättest du wohl gern!«
Zwei Typen im Hip-Hop-Outfit schlenderten vorbei, als Tommy dem Vampir gerade die Becher überstreifte. Tommy machte den Fehler, Blickkontakt zu suchen, und sie blieben stehen.
»Hab ich an der Fourth Street geklaut«, sagte Tommy.
Die beiden nickten, als wollten sie sagen. Ach so, wir hatten uns schon gewundert, und schlenderten weiter den Bürgersteig entlang.
Bestimmt spüren die Typen meine überlegene Kraft und Schnelligkeit, dachte Tommy. Sie würden es nie wagen, sich mit mir anzulegen. In Wahrheit waren sich die beiden einig, dass der weiße Junge mit dem gespenstischen Make-up nicht ganz dicht war – und außerdem: Was sollten sie mit einer zweihundert Kilo schweren Statue anfangen?
Tommy hatte sich überlegt, dass er den Vampir zum Embarcadero schleppen und beim Fähranleger vom Pier stoßen wollte. Falls da jemand wäre, wollte er einfach am Geländer stehen und so tun, als hätte er seinen schwulen Freund dabei, und dann, wenn keiner guckte, die Statue einfach ins Wasser kippen. Er fand den Plan höchst raffiniert. Kein Mensch käme auf die Idee, jemand aus Indiana könne sich als schwul ausgeben. So was gab es einfach nicht. Auf der Highschool hatte Tommy einen Jungen gekannt, der nach Chicago gefahren war, um sich das Musical Rent anzusehen. Er war nie wieder aufgetaucht. Tommy vermutete, dass er im Sumpf der leichten Muse abgesoffen war.
Als Tommy zum Embarcadero unten am Hafen kam, hätte er Elijah am liebsten einfach in die Bay geschubst und Feiermorgen gemacht, aber er hatte einen Plan, also schleppte er den Vampir die letzten beiden Blocks bis zur Promenade am Ende der Market Street, wo sich antike Straßenbahnen, Cable Cars und Fähren an einem großen, asphaltierten Park trafen. Hier, abseits der Gebäude, schien sich die Nacht seinen vampirischen Sinnen zu öffnen, und sie erschien ihm in neuem Licht. Tommy blieb einen Moment stehen, stellte Elijah an einem Brunnen ab und betrachtete die warme Luft, die aus den Gittern am Wendepunkt der Cable Cars kam. Perfekt. Weit und breit kein Mensch.
Da ging das Piepen los. Tommy sah auf seine Uhr. Sonnenaufgang in zehn Minuten. Die Nacht hatte sich ihm keineswegs
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