Liebe auf den ersten Biss
mit grünen Turnschuhen.
»Ich heiße Abby«, sagte Abby und machte einen Knicks.
Jody verschluckte sich, schnaubte Kaffee durch die Nase und wendete sich ab, damit sie Abby nicht ins Gesicht prustete.
»Alles okay, Herrin? Ich meine: Jody?«
»Ja, ja … schon gut.« Es war doch sonderbar, wie empfindlich die Nasennebenhöhlen waren, wenn es um heiße Flüssigkeit ging. Jody war ziemlich sicher, dass sie wohl nie wieder etwas anderes als frisch geröstete Kaffeebohnen riechen würde, und ihre Augen tränten – zumindest glaubte sie das, doch als sie sich dann wieder umdrehte, machte Abby einen Satz rückwärts und heulte auf.
»Ach, du Scheiße!« Abby stieß gegen den Futonrahmen und kam ins Taumeln.
In weniger als einer Zehntelsekunde war Jody hinter dem Küchentresen und wollte das Mädchen auffangen. Vor Schreck sprang Abby fast einen Meter hoch.
Jody sah voraus, was passieren würde. Das Mädchen würde am Futonrahmen hängen bleiben, armrudernd das Gleichgewicht verlieren und mit Kopf und Schulter voll aufs Parkett knallen. Jody sah es kommen, hätte Abby auffangen und sie sanft wieder auf die Beine stellen können, doch stattdessen erwachte ihr Mutterinstinkt – die Einsicht, dass das Kind es niemals lernen würde, wenn es nicht die eine oder andere Beule davontrug –, also trat Jody einen Schritt zurück, nahm ihren Kaffee und sah zu, wie das Mädchen am Boden aufschlug.
»Aua!«, quiekte Abby, ein schwarz-rotes Bündel am Boden.
»Mann, das sah aus, als hätte es wehgetan«, sagte Jody.
Abby war wieder auf den Beinen, humpelte und rieb ihren Kopf. »Was sollte das denn, Gräfin? Ich dachte, Ihr wolltet mich auffangen!«
»Ja, tut mir leid«, sagte Jody. »Wieso flippst du auch gleich aus?«
»Euer Gesicht ist voller Blut! Ich hab mich total erschrocken.«
Jody tupfte mit dem Ärmel ihre Augen ab, was kleine, rote Flecken auf dem weißen Frottee ihres Bademantels hinterließ. »Na, sieh sich das mal einer an!« Sie versuchte, lässig zu klingen, wie man es von jemandem erwarten würde, der vier- oder fünfhundert Jahre alt ist, aber die Bluttränen beunruhigten sie doch.
Themenwechsel. »Und diese Wohnung, die du gefunden hast, wo ist die?«
»Wollt Ihr nicht auf Flood warten?«, fragte Abby.
»Flood? Wer ist Flood?«
»Flood, der orangefarbene Vampir, der gerade eben rausgerannt ist.«
»Ach, der …«, sagte Jody. Tommy und seine Bräunungscreme. Er lief draußen auf der Straße herum, ohne Hemd und ohne Schuhe. »War er orange?«
Abby streckte ihre kaum vorhandene Hüfte heraus. »Hallo? Ihr weint Blut, und Euer Partner ist orange, aber es ist Euch noch gar nicht aufgefallen? Werdet Ihr langsam senil, oder was?«
Jody stellte ihren Becher auf den Tresen, damit sie ihn nicht zerbrach. Sie schöpfte aus ihrer Erfahrung bei der Arbeit in der Schadensabteilung von Transamerica, wo ihre direkte Vorgesetzte eine totale Blödbacke gewesen war und sie tagein, tagaus ihre ganze Kraft brauchte, diese Frau nicht mit dem Kopf immer wieder gegen den Aktenschrank zu knallen. Sie sah es gern als »professionelle Fassade«. Statt Abby also den blassen, kleinen Hals zu brechen, lächelte sie und zählte bis zehn. Bei zehn sagte sie: »Geh und hol ihn! Bring ihn her!« Noch ein Lächeln. »Okay, Süße?«
»Aber wieso ist er orange?«
»Er will sich häuten«, sagte Jody. »Alle hundert Jahre etwa legen wir unsere Haut ab, und ein paar Wochen vorher laufen wir orange an. Es ist eine sehr gefährliche Zeit für uns. Also … bitte, such ihn!«
Abby nickte wie verrückt und ging rückwärts zur Tür. »Wirklich?«
»Wirklich«, sagte Jody und nickte feierlich. »Schnell, hinfort mit dir! Die Zeit der Häutung steht bevor.« Sie deutete mit einer Geste zur Tür, wie sie es sich von einer fünfhundert Jahre alten Gräfin vorstellte. (Woher kam das mit der Gräfin überhaupt?)
»Gut«, sagte Abby und lief zur Wohnungstür hinaus, stürmte die Treppe hinunter, hinter Tommy her.
Jody ging ins Bad und wischte mit einem nassen Lappen die Bluttränen aus ihrem Gesicht. Vielleicht bin ich ja wirklich böse, dachte sie. Sie wusste, es sollte sie mehr belasten, dass sie böse war und alles, doch nachdem sie etwas Wimperntusche und Lippenstift aufgetragen und sich noch einen Becher Kaffee mit einem Schuss Blut genehmigt hatte, stellte sie fest, dass sie sich damit eigentlich ganz wohl fühlte.
-13-
Ein bewegender Tag
Jody trank ihren Kaffee und seufzte zufrieden, als hätte sie eben einen leichten
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