Liebe auf den ersten Biss
merkte, dass der Unterschied zwischen dem, was ihr passiert war, und dem, was David passiert war, in dem blutigen Kuss bestand, den Tommy ihr gegeben hatte. Ohne seinen Kuss wäre auch sie nur noch ein Häufchen Staub. Darüber sollte mal jemand einen Song schreiben, dachte sie. Zum Glück hatte sie es rausgefunden, bevor sie ihre nächsten Opfer suchte.
Jetzt fegte sie den Rest von David in die Ecke, sammelte ihn mit einem Stück Pappe auf und warf ihn in den Papierkorb. Dann ließ sie sich in den Schaum der Wanne gleiten, um ihre verkohlte Haut abzuschrubben.
Sie würde nicht lange bleiben können. David war verheiratet gewesen oder hatte zumindest eine Freundin. Blue hatte einen ganzen Schrank voller Frauenkleider gefunden, teurer Kleider, und wahrscheinlich würde die Frau wiederkommen. Andererseits wäre dieses Penthouse eine wunderbare Basis für das, was sie vorhatte. Vielleicht konnte sie einfach warten, bis die Frau kam und sie dann zu David in den Papierkorb fegen.
Blue lehnte sich zurück und schloss die Augen, lauschte den Schaumbläschen, dem Summen der Drähte im Haus, dem Verkehr draußen auf der Straße, den Fischerbooten, die am Kai ablegten – dann plötzlich ein Atemgeräusch aus dem Wohnzimmer, dann ein tiefes Ächzen, als auch in den Zweiten Leben kam, dann ein langer Schrei. Die toten Barbaren, die sie eingesammelt hatte, lebten wieder auf.
»Bleibt liegen, Jungs«, sagte Blue. »Mama will sich nur eben waschen und was Frisches anziehen. Dann kriegt ihr was zu futtern, und wir holen mein Geld.«
Sie fuhr mit dem Schwamm über ihren Arm und lächelte. Jetzt konnte sie tatsächlich Schneewittchen spielen. Immer einen Zwerg zur Zeit, dachte sie.
Elijah Ben Sapir wanderte seit achthundertsiebzehn Jahren auf diesem Planeten herum. In dieser Zeit hatte er Imperien kommen und gehen sehen, Mysterien und Massaker, Phasen der Ignoranz und Phasen der Erleuchtung: das gesamte Spektrum der menschlichen Grausamkeit und Güte. Er hatte alle Spielarten an Abnormitäten gesehen, von den Perversionen der Natur bis zu den Perversionen des Geistes, krank, wunderschön, furchterregend. Er dachte, er hätte alles schon gesehen. Doch in all den Jahren und trotz der scharfen Wahrnehmung seiner vampirischen Sinne hatte er doch noch nie einen fetten, rasierten Kater im roten Pulli gesehen, und wie er da so in seinem frisch gewaschenen, gelben Trainingsanzug saß (noch warm vom Trockner und duftend nach Seife und Weichspüler), lächelte er.
»Hey, Miezekatze«, sagte der alte Vampir.
Der fette Kater musterte ihn misstrauisch von der anderen Seite des Lofts her. Der Kater spürte, dass er ein Raubtier war, genauso wie Elijah spüren konnte, dass der Kater Opfer eines Vampirs gewesen war. Katzenfutter.
»Ich will dich nicht fressen, Mieze. Ich bin pappsatt.«
Es stimmte. Elijah fühlte sich etwas aufgebläht, nachdem er versucht hatte, möglichst viele Opfer zu hinterlassen. Vielleicht sollte er die nächsten paar Mal einfach nur töten und nicht trinken. Aber nein, dann wüsste die Polizei ja nicht, dass es ein Vampir gewesen war, und es würde keinen Spaß mehr machen, die Elevin zu drangsalieren. Im Moment ging jedenfalls nichts mehr rein. Ein weibliches Wesen kam draußen die Treppe herauf. Er konnte es atmen hören und roch Patschuli und den Rauch von Nelkenzigaretten. Moment noch, dachte er.
»Vielleicht finden wir ja was zu fressen für dich. Was meinst du, Mieze?«
Elijah sprang vom Barhocker und machte die Schränke auf. Im dritten Schrank fand er eine Tüte Trockenfutter. Er nahm eine Schale aus dem Schrank, die aussah, als wäre sie noch nie benutzt worden, warf ein paar Brocken hinein und schüttelte sie.
»Komm her, Mieze!«
Chet tappte ein paar Schritte auf die Einbauküche zu, dann blieb er stehen. Elijah stellte die Schale ab und trat zurück. »Ich verstehe. Ich mag es auch nicht, wenn mir jemand beim Essen zusieht. Aber manchmal …«
Der Vampir hörte, wie draußen ein Auto hielt, ein Auto, das schon eine Weile keine Werkstatt mehr gesehen hatte. Er neigte seinen Kopf und lauschte, als die Türen aufgingen und zuknallten. Vier Personen stiegen aus. Er hörte ihre Schritte auf dem Gehweg, eine weibliche Stimme fauchte die anderen an. Sofort stand er am Fenster, sah hinunter und musste unwillkürlich lächeln. Die vier dort unten auf dem Bürgersteig hatten keine menschliche Aura. Kein gesundes, rosa Leuchten, kein dunkler Schatten des Todes. Die Besucher dort unten waren keine
Weitere Kostenlose Bücher