Liebe auf den letzten Blick
besorgen. Gustl konnte es gerade eben verhindern, da er zu bedenken gab, dass es im April noch nicht heiß genug zum Nacktsonnen wäre. Wie ich sie kenne, wird sie früher oder später das geeignete Mondphasenargument finden, um ihren Plan in die Tat umzusetzen.
Träge steige ich aus dem Bett. Na, wenigstens schlafen noch alle und ich kann ungestört die Zeitung lesen.
Meine Mitbewohner sind begeistert, dass ich als Frühaufsteherin immer schon Kaffee koche. Ab halb acht ist mit Irma zu rechnen, die zwar ein paar Tage Urlaub hat, aber den gewohnten Weckrhythmus auch nicht aus dem System kriegt. Und sobald Amelie auftaucht, ist es vorbei mit der Ruhe. Dannwird die tägliche Tarotkarte gezogen, stundenlang rumgedeutet und über Schicksal oder Zufall gerätselt. Endlos lange dauert dieses Ritual, wenn sie direkte Fragen stellt und die Karten ihr einfach keine eindeutige Antwort geben wollen. Dann mischt sie das Spiel immer und immer wieder und zieht so lange neue Karten, bis das Ergebnis taugt. Notfalls pendelt sie auch über dem Kartenspiel.
Vorsichtig, jedes Geräusch vermeidend, steige ich in die schwarzen Filzpuschen und schlüpfe in den schwarzweiß gemusterten Morgenmantel. Im Flur lausche ich in die morgendliche Stille. Aus dem Zimmer zu meiner Linken, wo Gustl schläft, glaube ich ein leises Schnarchen zu vernehmen. Ansonsten ist alles ruhig. Auch rechts neben mir, aus Amelies Märchenburg, wie sie es nennt, ist kein Mucks zu hören. Ich schleiche durch den langen Korridor, öffne so geräuschlos wie möglich die Wohnungstür und husche zum Briefkasten, in dem die Zeitung steckt.
Meteorologen versprechen Supersommer
, verkündet die Schlagzeile auf der ersten Seite. Oh, oh, wenn Amelie das liest, rennt sie noch vor dem Frühstück in den Baumarkt.
Als ich die Küche betrete, weiche ich zurück. Schmutzige Töpfe und Pfannen stapeln sich im Spülbecken, auf dem Tisch stehen Teller mit Resten vom Abendessen, und es müffelt nach Stinkesocken. Als Verursacher dieses peinigenden Odeurs identifiziere ich ein Stück zerfließenden Limburger.
Amelie und Irma! Statt wie versprochen Ordnung zu schaffen, haben sie gepichelt, wie ich an den zwei leeren Flaschen Prosecco erkenne. Irma hat mich wieder mal ausgetrickst. Ich solle mal den WG-Feldwebel nicht so raushängen lassen, hat sie gegrinst und mich ins Bett geschickt.
Während ich meine zehn Jahre alte Kaffeemaschine mit Filter und Kaffeemehl befülle, entspanne ich mich wieder einbisschen. Unsere hauseigene Esoterikerin Amelie hat das Ding beim Einzug ausgependelt und behauptet, wir würden mit Elektrosmog verseucht – worauf sie die Maschine umgehend entsorgen wollte. Einzig das Argument, ausschließlich
ich
würde beim Kaffeezubereiten versmogt, konnte die Maschine retten.
Ich liebe das leise Blubbergeräusch, bei dem ich mich wie eine Figur aus einem Joghurt-Werbespot fühle. Wenn die Sonne durchs Fenster fällt, der Tag noch jung ist und seine Überraschungen bereithält. Auch wenn das Blubbern einfach nur das fällige Entkalken verkündet. Sollte meine Maschine demnächst tatsächlich den Geist aufgeben, kann Amelie einen esoterisch korrekten Ersatz mit rechtsdrehendem Karma anschaffen. Vielleicht hat ja irgendein Alt-Hippie bereits ein Gerät konstruiert, das den Kaffeesatz zum Tageshoroskop umwandelt. Aber im Moment ist noch alles gut, freue ich mich und angle eine Tasse aus dem Schrank. Als ich den Kühlschrank öffne, um die Milch herauszunehmen, schrecke ich zusammen. Wie jeden Morgen seit einer Woche – seit da ein Wasserglas steht, in dem ein halbes Gebiss schwimmt! Oder mich anlacht. Je nachdem, wie schmerzfrei man eine schwimmende Zahnprothese betrachtet. Jedenfalls ist der Anblick extrem skurril. Wer bitte schön bewahrt seine dritten Zähne im Kühlschrank auf? Und warum? Bisher ist es mir noch nicht gelungen, das Geheimnis zu lüften. Üblicherweise begebe ich mich nämlich ins Bad, um meine Zähne zu putzen, solange der Kaffee durchläuft. Wenn ich dann zurückkomme und nachschaue, ist das Glas verschwunden.
Auch heute ist das wieder der Fall.
Kopfschüttelnd nehme ich mir meinen Kaffee und trolle mich mit der Zeitung in mein Zimmer. Dort ist es wenigstens sauber und aufgeräumt.
Ich mache es mir mit zwei Kissen im Rücken bequem und setze die Lesebrille auf. Während ich meinen Milchkaffee genieße, blättere ich zum Klatschteil, der für mich ein rezeptfreier Stimmungsaufheller ohne Nebenwirkungen ist. Ich amüsiere mich jedes Mal, wenn
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